Der Sturz Milosevics wird vorbereitet

In Serbien wächst die Opposition gegen den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic/ Die „Demokratische Bewegung Serbiens“ hat jedoch noch kein konkretes Programm  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Das Schaufensterschild spricht für sich: „Ausländern Zutritt verboten“. Und der Buchhändler in der Belgrader Fußgängerzone meint es ernst: „Milosevic ist ein Schwein, aber auch die Deutschen und Amerikaner.“ Er bezeichnet sich als „kritischen Oppositionellen“, seine Buchhandlung hat einen guten Ruf. Hier fand sich schon unter dem Tito-Kommunismus manch kritisches Werk. Die gesammelten Reden von Präsident Milosevic lagen in diesem Geschäft nie aus. Der Buchhändler bevorzugt Dobrica Cosic und Matja Beckovic, bekannte Namen der heutigen serbischen Literatur.

Als Gegner des kommunistischen Regimes sind sie jedoch für viele Serben vor allem die grauen Eminenzen der Opposition. Bereits unter Tito nahmen sie mit ihren Thesen von der „Unterdrückung der serbischen Nation“ Repressionen in Kauf. 1981 verfaßten sie die erste Petition über den „Genozid des serbischen Volkes“ durch den „albanischen Separatismus im Kosovo“. 1986 waren sie als Mitglieder der Serbischen Akademie der Wissenschaften die Autoren des legendären Memorandums zur Zukunft des serbischen Volkes, eines Staatsentwurfs, der in seinen Grenzen einem Großserbien glich und für Milosevic als Fahrplan diente. War es einst die Akademie der Wissenschaften, die Milosevic gegen die alte KP-Führung an die Macht hievte, so spricht sie ihm nun das Mißtrauen aus.

Im Namen einer neugegründeten „Demokratischen Bewegung Serbiens“, eines Zusammenschlusses Dutzender oppositioneller Parteien, fordern Cosic und Beckovic den Sturz des Präsidenten. Alle serbischen Tageszeitungen veröffentlichten am Dienstag ihren Appell im Wortlaut: „Im Zweiten Weltkrieg nahmen die Nazis Hunderte serbischer Leben im Austausch für eins der ihren. Heute verlangen die Vereinigten Nationen ein einziges Opfer in unser aller Namen: und dieses Opfer sind Sie, Herr Präsident.“ Außerdem, so heißt es weiter, seien es „nicht nur die Deutschen“, die Serbien an den Pranger stellen würden: „Die ganze Welt hat Serbien verurteilt, auch die Russen und sogar die Bewegung der Dritten Welt, deren Mitbegründer Jugoslawien ist.“

Bezeichnend an dem Appell ist, daß er an keiner Stelle die Gründe für diesen Schuldspruch der Welt erwähnt. Kein Wort fällt über den Krieg in Bosnien, über die Angriffe auf Slowenien und Kroatien. Es finden sich nur nichtssagende Umschreibungen: „Unsere Forderung nach Ihrem Rücktritt ist ein Versuch, uns durch einen Berg von Unrat hindurchzuarbeiten.“

Und doch läßt man Milosevic noch Zeit. Bis zum 21. Juni müsse er zurückgetreten sein, ansonsten werde die „Demokratische Bewegung Serbiens“ zu Massenprotesten aufrufen. Die Bewegung wählte bewußt den 21. Juni in Anspielung auf die schicksalhafte Schlacht auf dem Amselfeld 1389. Als Serbenkönig Zar Lazar damals von den türkischen Truppen geschlagen wurde, bedeutete dies gleichzeitig das Ende der Existenz des serbischen Reiches.

Zeit läßt sich die Opposition aber auch aus einem anderen Grund: Zunächst gilt es die eigenen Reihen zu schließen. Denn bisher sind sich alle Oppositionsgruppen Belgrads, von der Friedensbewegung bis hin zu Monarchisten, nur in ihrer Forderung nach der Entmachtung von Milosevic und seiner Sozialistischen Partei einig: wer aber dann die Regierungsgeschäfte übernehmen und welches Friedensangebot dann konkret der Welt für Bosnien vorgelegt werden soll, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Vuk Draskovic, der Chef der „Serbischen Erneuerungsbewegung“, will zusammen mit den ihm nahestehenden Parteien die Führung des Staates übernehmen und dabei die Sozialisten höchstens noch auf den Oppositionsbänken des Parlamentes dulden.

Sein Gegenspieler Dragoljub Micunovic von der kleineren „Demokratischen Partei“ möchte dagegen eine „Regierung der nationalen Rettung“ ausrufen. In sie sollen nicht nur „Persönlichkeiten aus der Sozialistischen Partei“ aufgenommen werden, Platz gebe es auch für jene serbischen Generäle, „die mit den anderen Völkern des ehemaligen Jugoslawien in Frieden leben wollen“. Man weiß von Micunovic, daß er mittlerweile gute Beziehungen zu einigen hohen Militärs unterhält.

Nur eines können weder Draskovic und Micunovic versprechen: daß es ihnen nämlich gelingt, die serbischen Freischärler aus Bosnien abzuziehen, die Kampfhandlungen in Kroatien einzustellen und keine neuen Konflikte — so etwa im mehrheitlich albanisch bewohnten Kosovo, dem muslimischen Sandzak oder der Vojvodina — zu provozieren. Doch nur unter diesen Voraussetzungen wird die UNO bereit sein, ihre Wirtschaftssanktionen gegen Belgrad aufzuheben.

Und so wird in Belgrad eine baldige Lösung der Balkankrise für „utopisch“ gehalten. Voller Pessimismus ist Stojan Cerovic, Aktivist der Friedensbewegung und Redakteur beim Oppositionsblatt 'Vreme‘: „Zum einen wird Milosevic nicht so einfach den Hut nehmen, zum anderen ist die Demokratische Bewegung in sich zu sehr zerstritten und unentschieden, die Verantwortung für den Krieg in Bosnien zu tragen.“ Sein Szenario wirkt düster: Einen innerserbischen Bürgerkrieg hält Cerovic nicht für ausgeschlossen.

„Sarajevo ist ein Trümmerhaufen“

Sarajevo (ap/afp) — In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo ist am Mittwoch abend ein Konvoi der UNO-Friedenstruppen beschossen und zur Umkehr gezwungen worden. Die aus Belgrad kommende Wagenkolonne erreichte zwar den Stadtrand, geriet dann jedoch unter heftigen Beschuß, wobei ein Mann verletzt wurde. Die Kampfhandlungen in der Stadt hielten am Donnerstag an, allein für Mittwoch wurde die Zahl der Todesopfer mit 31 und die der Verletzten mit rund 130 angegeben. Radio Belgrad berichtete: „Sarajevo als Stadt existiert nicht mehr. Es ist ein einziger Trümmerhaufen.“

In dem UNO-Konvoi befinden sich 50 französische Experten für den Luftverkehr, die versuchen wollen, den Flughafen von Sarajevo wieder in Betrieb zu nehmen. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, Hilfsgüter für die vom Hunger bedrohte Bevölkerung der umkämpften bosnischen Hauptstadt einzufliegen.

Heftig bombardiert wurde am Donnerstag erneut die kroatische Küstenstadt Dubrovnik. Ihre Bewohner waren gezwungen, bereits die vierzehnte Nacht in Folge in den Schutzräumen zu verbringen. Seit einer Woche gibt es in der Stadt kein Wasser und keinen Strom mehr.

Der jugoslawische Thronprätendent, Alexander II., hat Kritik an der deutschen Haltung in der Jugoslawien-Krise und insbesondere an der Politik des früheren Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher geübt. Seiner Ansicht nach habe die Politik Genschers dazu geführt, daß die Europäische Gemeinschaft Anfang des Jahres ihre unparteiische Bewertung der Lage aufgegeben und sich damit den Weg zu einer konstruktiven Initiative verbaut habe. Die EG habe sich gegenüber dem Jugoslawien-Konflikt „schwach, ja feige“ gezeigt. „Ich glaube, daß die Geschichte sehr hart über Herrn Genschers Rolle bei dieser Abdrift urteilen wird“, erklärte er. Alexander II. sprach sich für den Rücktritt des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und die Einführung der konstitutionellen Monarchie aus, die er als „die einzige Anwort auf die Probleme der Region“ bezeichnete.