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ABTEILUNG TRAUERSPIELELaßt das Los entscheiden!

■ Mieses Niveau auch beim 0:0 England — Frankreich

Bei der Fußball-Europameisterschaft in Schweden gibt es die schöne Einrichtung einer „Spieler des Tages“-Ehrung. Eine Kreditkartenfirma hat einen Preis für den Kicker ausgesetzt, der für den „erinnerungswürdigsten Moment“ des Spiels sorgt. Nach dem Spiel England gegen Frankreich wurde dem Engländer Stuart die Ehre zuteil, den Geldpreis an eine wohltätige Organisation seines Vertrauens weiterleiten zu dürfen.

Pearce hatte in der 82. Minute des Spiels einen Freistoß an die Latte des französischen Tors geschossen. Einen anderen Moment, der eine größere Halbwertzeit als fünf Minuten gehabt hätte und danach nicht gleich in den Staub des Vergessens zerfallen wäre, hatte das Spiel auch nicht. Selbst Englands Nationaltrainer Graham Taylor gab zu, daß es zu Hause im Fernsehsessel „wohl schwer war, dieses Spiel anzuschauen“. Doch auf der Tribüne, umweht von frischer schwedischer Luft und versorgt mit der neunten bis dreizehnten Frei- Cola des Tages, sorgte der Kick allein für tiefe seelische und körperliche Ermattung.

In grauenhafter Vertauschung der Rollen, machte jede Mannschaft das gerade Falsche. Frankreich, den Engländern technisch weit überlegen, begnügte sich mit lahmen Mittelfeldgeplänkel, während sich die armen Engländer mit so etwas wie Angriffsversuchen abplagen mußten.

Besonders die international unerfahrenen Keown, Palmer, Batty und Sinton provozierten dabei nur sympathisierendes Mitgefühl. Die zarten Angriffspflänzchen wurden ansonsten spätestens von Basile Boli zertrampelt, der auch Gary Lineker nicht am Spiel teilnehmen ließ und Stuart Pearce noch eine Wunde am Wangenknochen verpaßte, die mit vier Stichen genäht werden mußte. Ein Teil des Dramas war es auch, daß der holzige Pearce so häufig am Ball war. So konnte er, ganz im Stil des späten Lothar Woelk die Bälle ausgiebig in die Weiten des leeren Raums kicken. Den Franzosen war's egal. Ab und zu drehten Didier Deschamps und Eric Cantona auf, scheinbar aber nur, um darauf hinzuweisen, daß sie es eigentlich könnten, wären sie zum Fußballspielen gekommen und nicht, um die Europameisterschaft zu gewinnen. Hinterher mußte sich Michel Platini Gemaule darüber anhören, daß es ihm doch wohl selbst nicht gefallen hätte in seinem Team zu spielen. Platini konterte nur mau mit „Wir-wollen- eben-weiterkommen“-Gerede.

Das Trauma des ersten Spiels, in dem man nicht verlieren darf, wird sich angesichts der vielen Unentschieden wohl noch eine zeitlang weiterschleppen. Und so denken sich gequälte Fußballköpfe schon die Höchststrafe für solches Taktieren aus. Ausscheiden per Los! Zurück bleiben verweinte Gesichter und viele Konjunktive: hätten wir doch nur, wenn wir nicht ...

Doch bei dieser Europameisterschaft wird wohl schlußendlich noch ein Spieler der des Tages werden, der überhaupt aufs Tor geschossen hat. Die Geldspende wird an notleidende Fans weitergeleitet, die beim Versuch ihren Gram in schwedischen Kneipen zu lindern verarmt sind. Christoph Biermann, Malmö

England: Woods (Sheffield) — Palmer (Sheffield) — Walker (S. Genua) — Keown (Everton) — Sinton (Queens Park) — Steven (O. Marseille) — Platt (Bari) — Batty (Leeds) — Pearce (Nottingham) — Lineker (Tottenham) — Shearer (Southampton).

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