»Heckelmann ist schlimmer als Lummer«

■ Gespräch mit Peter Meyer, Rechtsanwalt und Experte für Ausländerrecht, zur »Wende« in der Ausländerpolitik unter Innensenator Dieter Heckelmann; einer gnadenlosen Politik der »Intrigen, der Mauschelei und der Komplizenschaft«

taz: Sie haben sich in Ihrer Praxis zusammen mit Maria Wilken und Claus Rosenkranz auf die Vertretung ausländischer Frauen und Männer sowie Asylsuchender spezialisiert. Hat sich die Ausländerpolitik unter dem jetzigen CDU-nahen Innensenator Dieter Heckelmann im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern verschärft?

Peter Meyer: Eindeutig. Um es an Beispielen klarzumachen: Unter CDU-Innensenator Heinrich Lummer hat der Senat Ende 1981 Nachzugsfristen für die Familienzusammenführung bei Ausländern eingeführt. Junge Ehefrauen und -männer kamen mit einem Touristenvisum hierher und durften nicht mehr bleiben, sogar Hochschwangere wurden abgeschoben. Der SPD-Politiker Hans-Georg Lorenz hat Lummer damals deswegen einen »Terroristen« genannt. Am Ende aber hat Lummer eine Fristverlängerung erlassen, so daß die Frauen bis drei Monate nach der Entbindung bleiben konnten. Lummer hat, trotz allem, also noch eine gewisse Kompromißbereitschaft gehabt, auch bei anderen Ausländergruppen.

Unter dem CDU-Innensenator Wilhelm Kewenig sollten dann die Frauen mit den kleinen Babies abgeschoben werden, aber auch da wurden schließlich Aufenthaltsduldungen ausgesprochen, bis die Ehemänner hierher nachziehen konnten, nachdem wir eine Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission eingelegt hatten. Und unter dem SPD- Innensenator Erich Pätzold konnten sehr viele Fälle liberal und humanitär geregelt werden. Wenn es Problemfälle gab, wurden neue Weisungen erlassen. Es wurde nicht auf den Buchstaben des Gesetzes geachtet. Ein Beispiel: Bei der Familienzusammenführung von Ausländern der zweiten Generation müssen beide Partner volljährig sein. Wenn nun die Ehefrau erst in einem halben Jahr 18 wurde, dann hat man noch dieses halbe Jahr gewartet. Die Wende kam im Januar 1991 mit Heckelmann.

Wegen der Person oder wegen des damals in Kraft tretenden neuen Ausländergesetzes?

Wegen beidem. Das alte Ausländergesetz hat mehr Ermessensspielräume gelassen. Aber auch heute gäbe es die noch, sie werden nur nirgends mehr wahrgenommen. Die Innenbehörde zeigt nicht die geringste Gesprächsbereitschaft. Heute wird die 17jährige Ehefrau abgeschoben, obwohl sie in einem Jahr, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, wieder einreisen darf. Ein Jahr Ehetrennung wird in Kauf genommen, obwohl im christdemokratischen Gedankengut die Familie als ein höchst schützenswertes Gut gilt. Die Innenverwaltung hat sogar folgende Weisung erlassen, die nicht vom Ausländergesetz gedeckt ist: Jemand, der sich vielleicht zwei Jahre mit nicht ausreichenden Papieren hier aufgehalten hat, muß nach seiner freiwilligen Ausreise die gleiche Zeit, also zwei Jahre, im Ausland verbleiben und darf erst dann wieder einreisen. Dadurch entsteht ein ungeheurer Druck, weil man überlegen muß, ob man solche Leute überhaupt noch in langjährigen Verfahren vertreten sollte, die dann die Zeit der Einreisesperre verlängern.

Das ist etwas ganz Gemeines, denn es trifft gerade diejenigen, die den Mut haben, für ihre Rechte zu kämpfen. Außerdem werden Menschen, die unter Lummer oder Kewenig noch eine Aufenthaltsduldung erhalten haben, heute knallhart abgeschoben. Die können dann auch nicht mehr einreisen, weil sie eine lebenslängliche Sperre haben, und außerdem müssen sie die hohen Abschiebekosten bezahlen. Ein Beispiel: Ein chinesischer Gastwissenschaftler an der TU hat seine Frau und sein Kind mit einem Besuchervisum nachkommen lassen, und die beiden wurden im Mai abgeschoben, weil Angehörige aus Entwicklungsländern keinen Anspruch auf Familienzusammenführung haben. Es gab keinerlei Einlenken, obwohl die Familie nach einem Jahr eh wieder nach China zurückgegangen wäre.

Welche Ausländergruppen sind denn besonders von den Verschärfungen betroffen?

Das sind vor allem vier Fallgruppen. Erstens die alten und gebrechlichen Großmütter, die hier zu ihren Kindern reisen, wenn sie in der Türkei keine sie versorgenden Angehörigen mehr haben. Hier ist Heckelmann noch nicht mal zu einer Duldung bereit. Zweitens die Rückkehrerkinder. Also diejenigen, die hier geboren wurden und aufwuchsen, aber unter dem Rückkehrhilfegesetz von 1983/84 mit ihren Eltern in die Türkei zurückgegangen sind, sich in die dortige Kultur nicht eingefunden haben und nun wiederkommen wollen.

Das neue Ausländergesetz ist insofern ein großer Beschiß, weil es als Voraussetzung zur Rückkehr nach Deutschland eine Aufenthaltsdauer von höchstens fünf Jahren im Ausland vorschreibt. Also war mit dem Jahr 1988/89 die Rückkehrfrist erloschen. Ich vertrete einen in Zehlendorf geborenen Jugendlichen, der einen Antrag auf Wiedereinreise stellte und dafür eigentlich auch alle Voraussetzungen erfüllt, aber 1991, während seines Besuchs seiner immer noch hier lebenden Familie, 21 Jahre alt wurde. Die Ausländerbehörde hat ihm in geradezu hämischer Manier mitgeteilt, er möge doch den Antrag auf Rückkehroption nach seiner Ausreise noch einmal stellen. Dann aber ist er älter als 21 und darf ihn gar nicht mehr stellen.

Solche Jugendlichen fallen in den Gulli zwischen den beiden Kulturen?

Ja. Ein anderer Fall: Vor ein paar Tagen war ein junges Mädchen bei mir, die in Steglitz geboren wurde, in die Türkei zurückging und dort enorme Schulprobleme hatte. 1989 kam sie nur deshalb nach Berlin zurück, weil eine Firma ihr eine Lehrstelle anbot. Von ihren 21 Jahren hat sie nur fünfeinhalb in der Türkei verbracht, aber sie kriegt hier keinen Daueraufenthalt und verzweifelt daran. Die dritte Problemgruppe, bei der Lummer und Kewenig immer noch einlenkten, Heckelmann aber nicht mehr, sind die Familienangehörigen der zweiten und dritten Generation.

Da gibt es manchmal ganz schlimme Situationen wie beim Hauptmann von Köpenick: keine Aufenthaltserlaubnis, weil keine Arbeit, keine Arbeit, weil keine Aufenthaltserlaubnis. Ein Beispiel: Ein türkisches Paar heiratet. Der Frau in Berlin fehlt aber eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nötig wäre, um den Ehemann hierher zu holen. Sie wird schwanger und kann nicht arbeiten. Also fehlt die für die Aufenthaltserlaubnis nötige Voraussetzung der Arbeitsaufnahme. In der letzten Woche hat die Innenverwaltung hier wenigstens eingelenkt: Der Mann erhielt eine Duldung. Die vierte Gruppe sind Ausländer, die 1989/90 über die offenen Grenzen der CSSR oder Polen ohne gültiges Visum einreisten, dann einen Asylantrag stellten und später eine deutsche Ehefrau heiraten.

Im Ausländergesetz steht aber: Wer einmal illegal eingereist ist, kann keine Aufenthaltserlaubnis kriegen. Sie werden also nur geduldet und haben keinen Anspruch auf Arbeitsaufnahme oder Kindergeld. Die Männer dürfen also nicht arbeiten, selbst wenn die deutschen Ehefrauen Kinder kriegen. Auch da gibt es Köpenicksche Situationen: Die Aufenthaltserlaubnis wird nur dann gewährt, wenn genügend Wohnraum vorhanden ist. Die Ehefrau beantragt also einen Wohnberechtigungsschein für eine größere Wohnung. Das Wohnungsamt aber sagt: Den Ehemann können wir nicht in den Wohnberechtigungsschein aufnehmen, weil er keine Aufenthaltserlaubnis hat.

Liegt das alles an der Person Heckelmanns, der geradezu phobisch auf Ausländer zu reagieren scheint und in der 'Morgenpost‘ schreibt: Der »Asylantenberg« bedeute »zugleich auch höhere Kriminalität«. Oder liegt es daran, daß er nun die Hunde von der Kette gelassen hat und herzlose Bürokraten Aufwind verspüren?

Ich vermute letzteres, denn ich glaube nicht, daß sich der Innensenator mit allen Fällen detailliert beschäftigt. Diese Beamten waren unter der rot-grünen Regierung verunsichert durch die vielen neuen Weisungen. Wenn sie nicht humanitär handelten, bekamen sie eins auf den Deckel. Heckelmann aber schützt diese Sorte von Bürokraten und stellt ihre Entscheidungen nicht in Frage.

Das führt dazu, daß weder die CDU-Ausländerbeauftragte noch Kirchenvertreter noch amnesty international irgendwas zu sagen haben. Lummer oder Kewenig haben Einzelentscheidungen immer noch korrigiert. Der Jurist Heckelmann aber hakt gnadenlos ab. Seine Politik scheint die der Intrigen, der Mauschelei und der Komplizenschaft zu sein. Sachliche Gespräche sind gar nicht mehr möglich, Personen werden diskreditiert, sowohl die Ausländer selbst als auch ihre Rechtsvertreter.

Inwiefern?

Gegen mich läuft beispielsweise ein Ermittlungsverfahren wegen einer völlig unsinnigen Geschichte. Eine Ausländerin wurde vom Behördenpförtner, der ihren Vor- und Nachnamen nicht auseinanderhalten konnte, einmal zum Sachbearbeiter für den Buchstaben A und einmal zum Buchstaben B geschickt. Sie beantragte also unter A und B eine Aufenthaltserlaubnis, und als die abgelehnt wurde, habe ich bei A und B Widerspruch eingelegt. Jetzt wird mir ein Verstoß gegen das Ausländergesetz wegen unwahrer Angaben vorgeworfen.

Ist nicht der Fall des ägyptischen Publizisten Mohamed Osman ein Beispiel dafür, daß nicht nur seine Beamten, sondern auch Heckelmann selbst völlig unversöhnlich sind, zur Not auch gegenüber seinen Senatskollegen? Er bescheinigte Osman, sein Hierbleiben sei »nicht im öffentlichen Interesse«, obwohl der Kultursenator sich vehement für ihn einsetzte. Und die SPD nimmt alles hin, sie hat sich völlig aus der Ausländerpolitik verabschiedet.

Das ist richtig. Und das geht sogar noch weiter: Im Vortrag der Ausländerbehörde vor dem Oberverwaltungsgericht, das die Abschiebung bestätigte, werden die Briefe des Kultursenators und der Verlage und Rundfunkanstalten als »Gefälligkeitsbescheinigungen« abgetan. Und: Selbst der Petitionsausschuß hat kaum mehr Möglichkeiten, solche ausländerrechtlichen Entscheidungen zu korrigieren, er ist einflußlos geworden. Der Ausschuß kann ja keine Entscheidungen korrigieren, sondern nur Empfehlungen abgeben, in der Hoffnung, daß sich die Innenverwaltung daran hält. Kewenig hat sich damals daran gehalten.

Auch die Schlangen vor der Ausländerbehörde am Friedrich-Krause-Ufer scheinen bewußt produziert und dann von den Medien vermarktet zu werden: Wenn in der »Tagesschau« das Asylthema zur Sprache kommt, wird regelmäßig ein Foto von diesem Berliner Menschengedränge eingeblendet.

Dabei sind das oft gar keine Asylsuchenden. Ein Beispiel: Wir schicken aus unserer Kanzlei Kopien aller nötigen Papiere unserer Mandanten. Wenn ein Anwalt das kopiert, könnte die Behörde ja darauf vertrauen, daß das Originale sind. Die Leute stehen also einen Tag an, dann wird ihnen gesagt: Wir wollen die Originale sehen, kommt in drei Tagen wieder. Durch solche bürokratischen Spitzfindigkeiten wird der Publikumsverkehr überhaupt erst produziert. Ähnliches spielt sich bei den Asylsuchenden ab. Das Gespräch führte Ute Scheub