Nie waren sie so billig wie heute

Osteuropäische AkademikerInnen dienen als „Mädchen für alles“ in westeuropäischen Haushalten  ■ Aus Berlin Peter Huth

Sag mal, noch was, ihr habt nicht zufällig 'ne Putzfrau für mich?“

„Mensch, das Problem kenn' ich!“

„Uns ist die letzte gerade vor zwei Wochen weggelaufen.“

Soweit die Unterhaltung dreier Menschen, die sich nach mehreren Jahren pseudorevolutionärer Tätigkeit mit Rückfahrkarte in Papas Fußstapfen in der Schaubühne, Berlins Renommiertheater, wiedertrafen, wo der Stein einst das Bewußtsein bestimmte. Diese Unterhaltung ist natürlich fiktiv und entstammt einem Theaterstück, das seit zwölf Jahren am Berliner Gripstheater zu bewundern ist: eine linke Geschichte.

Eine linke Geschichte ist die Entwicklung des Dienstbotenberufes natürlich nicht, eher eine traurige. Dabei geht es nicht um den mythenumrankten, aus französischen Flaschen und lateinischem Fäßchen entstandenen englischen Butler, sondern um triste Dienstbotenrealität. Waren sie früher als Gesinde die Reisebegleitung von Adligen, dann notwendiger Bestandteil autark produzierender Höfe und Güter, sind sie heute lediglich Statussymbol wildgewordener Hausfrauen. Das Bühnengespräch hat auch heute noch große Aktualität. Allerdings hat sich der Dienstbotenmarkt verbessert. Glasnost und die damit verbundene Veränderung Osteuropas hat zwar nicht die Probleme der Menschen dort, aber immerhin die Probleme mit den Putzfrauen und Putzmännern hier gelöst. Nie zuvor hat es ein solches Überangebot an — natürlich schwarzen — Hilfsdiensten gegeben.

Nie zuvor waren sie so billig zu bekommen. Dabei kann man sich sogar noch interessante GesprächspartnerInnen ins Haus holen. Beim Computerspezialisten in Schöneberg putzt der Computerspezialist aus Moskau. Bei der Germanistikprofessorin in Zehlendorf der Germanistikprofessor aus Poznan — und so weiter. Die osteuropäischen AkademikerInnen als „Mädchen für alles“ in westeuropäischen Haushalten.

Berlins Dienstboten kamen schon immer aus dem Osten. Auf der Flucht vor den harten ländlichen Arbeitsbedingungen strömten sie in die Stadt. Allerdings waren häusliche Dienstboten gegen Ende des 19.Jahrhunderts fast ausschließlich Frauen. Die Männer hatten mit Beginn der Industrialisierung diesem Stand den Rücken gekehrt. Städtische Haushalte hielten sich Dienstmädchen, Kindermädchen, Köchinnen und Wirtschafterinnen. Dienstmädchen bildeten um die Jahrhundertwende die größte weibliche Beschäftigungsgruppe in Deutschland. Fast ein Drittel aller Frauen, die außerhalb der eigenen Familie arbeiteten, waren in häuslichen Diensten.

Dienstmädchen waren — mit Ausnahme von Konjunktureinbrüchen— immer knapp, denn die Zunahme derjenigen Schichten, die üblicherweise Dienstboten hielten, übertraf das Angebot der vom Land zuwandernden Dienstmädchen beträchtlich. Auch war die Arbeitsplatzmobilität unter den Dienstmädchen sehr groß. Sie wechselten in Berlin durchschnittlich alle sechs bis neun Monate die Stellung. Allerdings darf man sich nicht vorstellen, daß diese Dienstmädchen lediglich das Silber hoher Herrschaften in feudalen Haushalten zu putzen hatten. In der Hauptsache waren die Aufgaben der Dienstmädchen harte Knochenarbeit und derbe Hausarbeit bei weniger begüterten Familien. 50 Prozent arbeiteten bei Kleingewerbetreibenden, wo die Ehefrauen im Geschäft mithalfen und die Lücken bei der Haushaltsführung durch Dienstmädchen gestopft werden mußten.

Ein weiteres Viertel arbeitete bei kleineren Beamten oder Freiberuflern, die ein Dienstmädchen vorzeigen mußten, um zur bürgerlichen Klasse zu gehören. Mehr als ein Dienstmädchen war ökonomisch selten tragbar, so daß die Hausfrau gewöhnlich im Haushalt mitarbeitete— was allerdings nach außen hin kaschiert werden mußte, um dem sozialen Image nicht zu schaden. Die Verteilung der Dienstmädchen auf die Haushalte der verschiedenen Schichten änderte sich bis zum Ersten Weltkrieg nicht. Erst mit dem Rückgang des Kleingewerbes setzte sich der Trend zum bürgerlichen Dienstmädchen durch.

Ein herausragendes Merkmal des Dienstbotenberufes waren die langen Arbeitszeiten und die im Verhältnis zu den Industriearbeiterinnen geringe Entlohnung. Ausgenommen jene Stunden, in denen die Dienstmädchen schliefen, hatten sie jederzeit zur Verfügung zu stehen. Dienstmädchen arbeiteten häufig mehr als 16 Stunden täglich, und auch an den Wochenenden hatten sie kaum Freizeit. Die im Gesinderecht— das erst 1918 abgeschafft wurde — vorgeschriebene uneingeschränkte Arbeitsbereitschaft orientierte sich an den Arbeitsbedingungen des ländlichen Gesindes und an den ökonomischen Interessen der Junker. Diese versuchten die Landflucht der jungen Frauen durch hohe Strafen, die im Gesinderecht festgelegt wurden, mit aller Gewalt zu verhindern.

Mit dem Ersten Weltkrieg wanderten immer mehr Frauen aus den städtischen Dienstbotenberufen in die Industrie ab und übernahmen dort die Aufgaben der an der Front kämpfenden Männer. Nach dem Krieg wurden die Frauen durch staatliche Zwangsmaßnahmen — Streichung der Erwerbslosenfürsorge — in die Haushalte zurückgeschickt. Im Faschismus wurde vor allem durch die Einführung des Pflichtjahres für Mädchen die Zahl der Hausangestellten noch einmal künstlich hochgeschraubt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand dieser unattraktive Beruf vollständig. Versuche in der unmittelbaren Zeit danach, junge Frauen noch einmal an die Dienstmädchenarbeit zu binden, schlugen fehl — oft selbst dann, wenn sie arbeitslos waren.