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Die Unglücksraben des Weltfußballs

Deutschland — Schottland 2:0/ Nach einem großartigen Spiel schieden die Schotten trotz erstaunlicher Kopfballstärke wieder einmal in der ersten Runde eines Turnieres aus  ■ Aus Norrköping Matti Lieske

Der Fußball lebt von seinen Helden, seinen Lichtgestalten, und er lebt von seinen tragischen Figuren. Bloß, warum müssen das immer die Schotten sein? So lange wie kaum ein anderes Volk praktizieren sie die moderne Art des Fußballspiels, ja, sie haben sie quasi miterfunden. Ach, hätten sie es nur bleibenlassen, es wäre ihnen einiges erspart geblieben. Siebenmal haben sich die Schotten mit Glanz und Gloria für ein Weltmeisterschaftsturnier qualifiziert, siebenmal flogen sie mit Pauken und Trompeten in der Vorrunde raus — und spielten doch meist besser als manches Team, das später Weltmeister oder wenigstens Vize- Weltmeister wurde.

Zum erstenmal nahm Schottland nun an einer Europameisterschafts- Endrunde teil, und es deutete wenig darauf hin, daß dieses etwas an der Misere der notorischen Pechvögel aus Glasgow, Edinburgh, Aberdeen und Dundee ändern würde. Stilecht verlor der Dumme August des Weltfußballs nach guter Leistung gegen die Niederlande, und für die nach ihrem halben Fehlstart angeschlagenen Deutschen gab die Pechmarie der Strafräume den idealen Aufbaugegner ab. Immerhin konnten sich die 17.000 Zuschauer im Idrottsparken von Norrköping eines unterhaltsamen Nachmittages erfreuen. „Ein tolles Spiel“, begeisterte sich Jürgen Klinsmann, „gerade auch von den Schotten.“ Ihm hatte die Partie großen Spaß gemacht, aber er ist ja auch nicht der Bundestrainer, dessen Auge unbarmherzig die Schwächen und Unzulänglichkeiten im eigenen Spiel entlarvt. „Ich war zufrieden, daß wir uns viele Chancen herausgearbeitet haben“, analysierte Berti Vogts im Grabeston, „aber ich war unzufrieden, daß der Gegner viele Chancen bekommen hat.“ Beides hing natürlich eng zusammen, aber das darf der Bundestrainer nicht zugeben, sondern muß letzteres „künftig abstellen“.

Die Voraussetzungen waren klar. Die Schotten mußten gewinnen, die Deutschen auch, wenn sie im letzten Spiel gegen die Niederlande nicht unter den Zwang geraten wollten, unbedingt siegen zu müssen. So begannen beide Teams herzhaft offensiv, im Mittelfeld gab es mehr Räume als in allen anderen bisherigen Spielen zusammen, und sie wurden glänzend genutzt. Hüben wie drüben hagelte es Torchancen, die Schotten waren besonders in der Luft gefährlich, die Deutschen am Boden. Klinsmann rackerte und brillierte wie lange nicht mehr, Häßler glaubt offenbar langsam selbst daran, daß er sich in der Form seines Lebens befindet, Sammer und Möller fügten sich gut ein, nur die Abwehr schwamm ein wenig.

Die Schotten wiederum kombinierten, als hätten sie heimlich Stunden bei den Brasilianern genommen, direkt, zielstrebig und scheinbar gefährlich. Nur die Abwehr schwamm ein wenig. In der ersten halben Stunde erinnerte das Match an einen jener Boxkämpfe, wie sie früher bei den kanadischen Holzfällern üblich waren, bei denen die Kontrahenten deckungslos so lange aufeinander einschlugen, bis einer umfiel.

Natürlich waren es die Schotten, die umfielen. In der 29. Minute ließ Klinsmann den Ball mit dem Rücken zum Tor einfach liegen, und Riedle jagte ihn in die linke untere Ecke. Das schottische Unheil nahm seinen üblichen Lauf. „Manchmal siehst du nach oben, und fragst dich, was passiert hier eigentlich“, klagte Schottlands Coach Andy Roxburgh. Oben aber ist für ihn nichts zu holen. Diesen Draht hat bekanntlich der fromme Berti gepachtet, wie sich kurz nach der Halbzeit wieder einmal zeigte. Mitten in den beginnenden schottischen Sturmlauf hinein versuchte Effenberg zu flanken, Maurice Malpas fälschte ab, und der Ball trudelte in hohem Bogen ins Tor, unerreichbar für Keeper Andy Goram. „Du mußt 2,20 Meter groß sein, um diesen Ball zu halten“, nahm Roxburgh seinen Torwart in Schutz.

Nun mußten die Schotten erst recht mit Mann und Maus stürmen, während die Deutschen geschickt konterten und durch Möller (57.) und Häßler (67.) zweimal den Pfosten trafen. Vor Illgners Tor spielte sich eine turbulente Szene nach der anderen ab. „Nie im Leben hätte ich geglaubt, daß wir gegen die Deutschen so viele Chancen bekommen würden“, wunderte sich Verteidiger Richard Gough. Daß das Leder nicht im Netz landete, lag an Bodo Illgner und vor allem an Guido Buchwald, der dem gefährlichen Torjäger Alistair McCoist, mit 34 Treffern für die Glasgow Rangers Europas Topscorer, keinen Ball gönnte. „Wenn Ally eine Chance gehabt hätte“, so Gough, „hätte er sie bestimmt genutzt. Aber ihm ist keine zugefallen.“

Gegen Ende begann es auf dem Feld langsam zuzugehen wie bei einer Glasgower Kneipenschlägerei. Ein schottischer Eisenschädel nach dem anderen krachte auf zarte Germanenhäupter, nacheinander wankten Riedle (wacklige Nase), Reuter (Platzwunde) und Buchwald (Platzwunde und Gehirnerschütterung) benommen in die Kabine. Für Reuter und den schwer angeschlagenen Buchwald („Ich kann mich an nichts erinnern“) ist der Einsatz gegen Holland gestorben, ob Riedle aufläuft, ist noch unsicher. Man fürchtet, daß seine Kopfballgefährlichkeit mit geschwollener Nase schwer nachläßt.

Doch auch gegen zehn Deutsche gelang den Schotten kein Tor, wieder einmal waren sie in der ersten Runde

gescheitert. Das Schöne ist, daß dies weder ihnen noch ihren ausnehmend sympathischen Fans sonderlich viel ausmacht. Strahlend, als hätten sie gerade die Highland-Meisterschaft im Baumstammschmeißen gewonnen, rannten die Spieler zum Block ihrer Anhänger und ließen sich von diesen frenetisch feiern. Zur Belohnung wollen sie nun gegen die Russen gewinnen. „Mein Freund Berti hat zu mir gesagt, bitte schlagt jetzt die GUS für uns“, erzählte Roxburgh, „aber ich habe gesagt, nein, wir schlagen sie für uns.“ Nun, wo die Schotten ausgeschieden sind, ist das sogar wahrscheinlich.

Schottland: Goram (Glasgow R.), McKimmie (Aberdeen), Gough (Glasgow R.), McPherson (Heart of Midlothian), Malpas (Dundee United)- McAllister (Leeds United), McCall (Glasgow R.), McStay (Celtic Glasgow), McClair (Manchester), McCoist (Glasgow R.),Durie (Tottenham) — 55. Nevin.

Zuschauer: 17.638

Tore: 1:0 Riedle (30.), 2:0 Effenberg (47.).

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