■ QUERSPALTE
: Die Unrechtsbereinigungseinheit

Die deutsche Sprache ist schön, aber schwer. Am schwierigsten ist sie zu handhaben, wenn sie einen zusammengesetzten Sachverhalt beschreiben soll, zumal, wenn es sich um Dinge des täglichen Lebens handelt, die wenig angenehm sind: Frauen denken an den Abstrich, Männer an den Einlauf, RedakteurInnen an den Umbruch. Nicht zufällig haben wir hier Beispiele aus der Leistengegend gewählt; die deutsche Sprache ist im Niederen angesiedelt, wo es ums Tägliche und Einzelne geht, im Höheren aber, wenn Ewiges und Gemeinsames angesprochen oder gar ausgesprochen werden soll.

Ein schönes Exemplar der synthetischen Aufhebung dieses ach nur scheinbaren Widerspruchs beschert uns heute der Deutsche Bundestag: er betreibt die Verabschiedung des Unrechtsbereinigungsgesetzes in der ihm eigenen Ordnung: erste, zweite und heute dritte und damit letzte Lesung, streng nach den Gesetzen der Dialektik, an deren Ende, wie man weiß, die Versöhnung steht.

Was aber soll versöhnt werden? Zunächst das Individuum mit seinem Leben, soweit es schon vergangen ist (Unrecht); in Folge dann mit der Gemeinschaft, die ihm Unrecht und Schaden zufügt und zur Wiedergutmachung Ordnung und Regel erläßt (Gesetz); das Ganze auf dem Wege, der von jeher von oben nach unten ging: Bereinigung. Ein Tag im Leben des Franz B., den er im Loch absaß, obwohl seine Unschuld — zu spät! — erwiesen ist, wird ihm, da Zeit nicht zu Gebote steht, im höchsten Äquivalent erstattet, das im Kapitalismus zu haben ist: im Gelde.

Wie steht es nun mit der Bereinigung? Ein Lebenstag der Rosa L., so erfahren wir, zu Unrecht im Gefängnis verbracht, wird in der BRD mit 20 Mark vergolten. Wenn Rosa Sekretärin war und 2.950 Mark brutto verdiente, wird der Verdienstausfall mit angerechnet — sofern Rosa im Westen lebte. Hat das SED-Regime sie eingeknastet, ist die Bereinigung auch recht, aber ebenso billiger: dann sind es nämlich 10 Mark pro Hafttag, und ein eventueller Verdienst wird nicht erst in Anschlag gebracht.

Es hat einen gesellschaftlichen Umbruch gegeben. Wir alle müssen Abstriche machen. Der DDR, insbesondere ihren KritikerInnen, machen wir einen Einlauf. Versöhnung und Bereinigung des Unrechts erzielen wir per Gesetz. Wer sich nun ungerecht behandelt fühlt, sollte mal nachsehen, was ihn das Hausmüllbereinigungsgesetz am Tage kostet: die Entleerung eines 120-Liter-Gefäßes, Standard nicht nur im vereinigten Berlin, macht täglich 1,13 Mark aus. Daraus lernen wir: eine Unrechtsbereinigungseinheit entspricht 8,85 Hausmüllbereinigungseinheiten. Sauberkeit kostet. Gerechtigkeit auch. Abstriche müssen sein. Elke Schmitter