Rückkehr der alten Männer zur Macht

Im Axel-Springer-Verlag ist die erwartete Entideologisierung der Verlags-Doktrin ausgeblieben/ Über 'Bild‘ und 'Welt‘ herrschen heute die über 60jährigen Mitstreiter von Verlagsgründer Springer  ■ Aus Berlin Donata Riedel

Not macht erfinderisch. Große Not jedoch macht Angst — jedenfalls dann, wenn sie als Bedrohung von außen empfunden wird. „Teamwork und Dialog“ versprach Günter Wille (49) den bis dato auf Befehl und Gehorsam gedrillten Beschäftigten des Axel-Springer-Verlages, als er vor elf Monaten Peter Tamm an der Vorstandsspitze ablöste. Doch die Rede vom Dialog blieb ein Monolog. Und im Jahr zwei nach der heiß ersehnten Einheit herrscht im größten deutschen Zeitungsverlag Geldnot — und der Rückgriff auf Altbewährtes: In den Redaktionen der Flaggschiffe 'Bild‘ und 'Welt‘ hört heute wieder alles auf das Kommando der altgedienten Springer-Kämpen. Vorstandsmitglied Günter Prinz (62) installierte den alten Weggefährten Horst Fust (61) in der 'Bild‘-Chefredaktion. Und Herausgeber Claus Jacobi (65) regiert über die Chefredakteure Peter Gillies (53) und Gerhard Mumme (47) die 'Welt‘.

Die „Schlacht gegen die 'Super‘- Zeitung“, so Günter Wille auf der Bilanzpressekonferenz am Montag abend, „halten wir zu unseren Gunsten für geschlagen.“ Die 'Bild‘-Zeitung werde in Berlin und den neuen Bundesländern täglich 450.000mal verkauft. Das ostdeutsche Boulevardblatt 'Super‘, das der langjährige (damals Ex)-'Bild‘-Chef Günter Prinz 1990 für den Konkurrenten Hubert Burda konzipiert hatte, käme demgegenüber nur auf eine Auflage von 320.000 Exemplaren. Die gesamtdeutsche 'Bild‘-Auflage jedoch ist im Geschäftsjahr 1991 um 10,9 Prozent auf 4,892 Millionen zurückgegangen.

„Der kleine Mann interessiert sich heute nicht mehr für Prominentenklatsch oder den Doppelmord in Celle“, analysierte Prinz den deutlichen Auflagenverlust. Das habe Hans-Hermann Tiedje (43) nicht richtig erkannt — weshalb Prinz ihm vor einem Monat den 'Bild‘-Chefsessel weggezogen hat. Prinz glaubt, den stetigen Auflagenschwund bis Ende des Jahres stoppen und „mittelfristig im Westen eine Auflage von 4,5 Millionen erreichen“ zu können.

Auch die hochdefizitäre 'Welt‘ (43 Millionen Mark Verlust pro Jahr) schrumpfte um weitere 5,9 Prozent auf eine verkaufte Tagesauflage von 212.463 Exemplaren. Mit dem Umzug der Redaktion im Herbst nach Berlin soll das Springer-Blatt mit neuem Konzept samt Berliner Lokalteil endlich in Richtung Gewinnzone gebracht werden.

Die sichere Gewinnzone für den gesamten Verlag ist — weit vor publizistischen Interessen — das vorrangige Ziel des neuen Vorstandschefs Wille, der vom Zigarettenmulti Phillip Morris an die Spitze des Springer-Konzerns wechselte. Die 1991er Bilanz mit dem „mageren“ Gewinn von 11,2 Millionen Mark bei 3,681 Milliarden Mark Umsatz sei „ein einmaliger Ausrutscher“, sagte Wille. 1990 hatten die Springer-AktionärInnen aus den erwirtschafteten 65 Millionen Mark noch zwölf Mark Dividende bezogen, in diesem Jahr sollen sie leer ausgehen.

Bereits vor einem Jahr hatte Günter Wille die „zu geringe Rendite“ von damals 1,8 Prozent des Umsatzes bemängelt und schon bei Amtsantritt die Gürtel-enger-schnallen-Losung ausgegeben. So blieb in diesem Jahr die Schuld an der Misere automatisch an Willes Vorgänger Peter Tamm hängen. Der gescheiterte Versuch, mit 'Claro‘ das 'Bild‘- Konzept nach Spanien zu exportieren; die wahllosen Zukäufe von Medienfirmen, ohne ein Konzept für sie zu haben; der Nervenkrieg gegen den Filmgroßhändler Leo Kirch („unser Geschäftsfreund“, so Wille) — das alles geht schließlich auf die Kappe Tamms. Die Springer-Erben, die zusammen mit der italienischen Monti- Gruppe über 50 Prozent der Aktien hält, und Aufsichtsratschef Bernhard Servatius traten Tamm deshalb vor einem Jahr durchaus unsanft in den vorgezogenen Ruhestand — nach immerhin 43 Jahren treuen Springer- Diensten, davon 23 Jahre an der Konzernspitze.

Das große Aufräumen (die „Konsolidierungsphase“) nach Tamm fällt in eine Zeit, in der sich alle Zeitungs- und Zeitschriftenverlage mit einem enger werdenden Markt konfrontiert sehen. Immer weniger BundesbürgerInnen lesen Zeitungen, immer mehr Anzeigenkunden schalten ihre Werbung im Fernsehen. Langfristig sollen deshalb die Fernsehbeteiligungen des Zeitungsverlages zum zweiten Standbein entwickelt werden. Deshalb erhöhte der Springer-Verlag seine Beteiligung an Tele-5 von 25 auf 33 Prozent. Das Programm des Senders Sat.1 (20 Prozent direkte Beteiligung, weitere indirekt über die Aktuell Presse- Fernsehen GmbH) soll einschaltquoten-trächtig neukonzipiert werden. Geldwerte Einnahmen erwartet Wille vor allem aus der 50-Prozent- Beteiligung an der Internationalen Sportrechte-Verwertungsgesellschaft für die Fußball-Bundesliga.

Dennoch: Das Hauptgeschäft sollen bei Springer die Zeitungen und Zeitschriften bleiben. In Druckereien und Vertrieb sollen in diesem Jahr weitere 370 Millionen Mark investiert werden, nach 427 Millionen im vergangenen Jahr und 399 Millionen in 1990. Weil diese Beträge auch bei Ausnutzung aller Berlin-Fördergesetze und Eigenmittel kein Pappenstiel sind, ist im Hause Springer, das seine JournalistInnen für die Anpassung an die Verlags-Doktrin gut zu bezahlen pflegte, heute eisernes Sparen angesagt. Von den 12.600 Arbeitsplätzen des Jahres 1991 werden 1.400 abgebaut, notfalls auch durch „betriebsbedingte Kündigungen“.