ANALYSE
: Muammar el-Gaddafi ist in der Klemme

■ Der libysche Führer betreibt ein trickreiches Doppelspiel, um sich an der Macht zu halten — doch seine Karten sind schlecht

Kairo (taz) — Seit vor einer Woche sogenannte „revolutionäre Kräfte“ die Massenmedien der libyschen Hauptstadt besetzten, hören die Spekulationen über die veränderte innenpolitische Lage in Libyen nicht auf. Die Forderungen der „Kräfte“ lassen den „revolutionären“ Elan allerdings vermissen. Mit der Losung „Libyen den Libyern“ sollen die arabischen Gastarbeiter nach Hause geschickt werden. Die „arabischen Brüder“ hätten es nur auf das libysche Geld abgesehen und das Land in Zeiten der Not alleingelassen, finden die „Revolutionäre“. Da wäre die Freundschaft zum Westen doch vorzuziehen. Der habe wenigstens etwas zu bieten. Westliche Technologie sei für die Entwicklung des Landes unabdingbar, anders als vergammelte arabische Waren, schreibt beispielsweise das Blatt 'Al-Gamahariya‘. Die Araber hätten nur Drogen und Alkohol ins Land gebracht.

Die Lockerbie-Affäre und die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen haben einen schon lange schwelenden Konflikt zwischen Gaddafi und dem zweiten Mann des Landes, Abdelsallam Jalloud, zum offenen Machtkampf werden lassen. Jalloud gilt als der harte Mann, als der Raul Castro Libyens. Er verfügt über großen Einfluß in den Revolutionskomitees, der politischen Führung und der Armee. Aber wer meint, daß die Medienattacken gegen Gaddafi auf das Konto von Jalloud gingen, irrt. Gaddafi soll die Kritik gegen sich selbst verfaßt haben. Keine Selbstkritik, sondern ein abgekartetes Spiel, sagen politische Beobachter, um seine Avancen gen Westen durch die heimischen Massenmedien abzusegnen — nach dem Motto: Nicht ich hab' mich von den arabischen Brüdern verabschiedet, mein Volk wollte es so.

Als sich letzte Woche britische und libysche Unterhändler in Genf trafen, ging es nicht nur um libysche Geheimdienstinformationen über die IRA. Gaddafi sei bereit, Teile der libyschen Auslandsopposition an der Regierung zu beteiligen, hieß es dort. Es ist ein offenes Geheimnis, daß diese Opposition über gute Beziehungen zu den USA verfügt. „Gaddafi will um jeden Preis an der Macht bleiben. Deswegen ist er zu einem Abkommen mit dem Westen bereit. Wenn der Westen ihn als Staatschef akzeptiert, verspricht Gaddafi Reformen und die Öffnung des Landes für ausländisches Kapital“, sagt ein politischer Beobachter mit engen Beziehungen zum libyschen Regime. Doch die Amerikaner würden auf harte Flügelkämpfe zwischen Gaddafi und Jalloud spekulieren, in der sich beide Seiten aufreiben. Derweil könnte die an der Regierung beteiligte Opposition ihre Position ausbauen, um Gaddafi schließlich mit Unterstützung des Westens zu entmachten. Die Diskussionen auf dem Volkskongreß, der seit Ende letzter Woche in der libyschen Mittelmeerstadt Sirt stattfindet, haben deutlich gemacht, daß der Jalloud- Flügel Gaddafi das Feld nicht überlassen will. Der Volkskongreß ist das oberste libysche Verfassungsorgan und war bisher eher der verlängerte Arm der Staatsmacht. Die Weigerung, die beiden in der Lockerbie-Affäre angeklagten Libyer an Großbritannien oder die USA auszuliefern, und die Aufrufe zur arabischen Einheit sind eine Revolte gegen den Flirt mit dem Westen. Der Beschluß des Volkskongresses, Medikamenten- und Lebensmittellager anzulegen, zeigt, daß Teile des Volkskongresses den harten antiwestlichen Kurs weiterfahren wollen und mit einer Eskalation rechnen. Die besetzten Medien haben dem Sekretariat des Volkskongresses die Legitimität abgesprochen, für das libysche Volk zu sprechen. Gaddafi versucht so, die Volksstimmung gegen seine innenpolitischen Gegner zu mobilisieren. Viele Leute sind die Luftblockade leid und haben Angst, daß Libyen ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie der Irak. Gaddafi ist jedenfalls innen- und außenpolitisch in der Klemme. Stets hat er auf die großen Stämme des Landes gesetzt. Die beiden Lockerbie-Angeklagten stammen aus einflußreichen Stämmen. Ihre Auslieferung könnte dazu führen, daß diese Stämme die Hardliner unter Jalloud unterstützen. Gaddafi hatte darauf gesetzt, daß der Westen ihm nach den Gesprächen in Genf mit positiven Gesten entgegenkommt, die ihm als innenpolitische Waffe dienen könnten. Aber London und Washington haben ihn erneut spüren lassen, daß er alles andere als die erste Wahl des Westens ist. Ivesa Lübben/Khalil Abied