: Stehende Ovationen für Jelzin im Kongreß
Rußlands Präsident appellierte an die Hilfbereitschaft der USA, sollte den Applaus jedoch nicht als Zusage verstehen ■ Aus Washington M. Sprengel
Richtig gerührt war er, als ihn die Abgeordneten des US-Kongresses mit donnerndem Applaus begrüßten. Es sei ein große Ehre, seine Exzellenz Boris Jelzin heute hier begrüßen zu dürfen, schmeichelte ihm der Sprecher des Repräsentantenhauses, Tom Foley. Damit dürfte sich der Gast für die weniger respektvolle Behandlung bei seinen ersten Besuchen endgültig entschädigt sehen.
In einer feierlichen, gemeinsamen Sitzung von Senatoren und Repräsentanten erinnerte Jelzin in einer mehr als halbstündigen Rede an die materiellen wie menschlichen Kosten des Kalten Krieges und mahnte, daß ein Scheitern seiner Reformen einen Rückfall in diese Zeit bedeuten und die Weltgemeinschaft Milliarden von Dollar kosten würde. „Wir haben nur einen Versuch“, mahnte Jelzin und versprach, wirtschaftlichen und politischen Reformen weiter Priorität einzuräumen. Seine jüngsten Wirtschaftsreformen hervorhebend, rief er die USA auf, in seiner Heimat zu investieren.
Jelzin, der zu Beginn seines USA- Besuches eröffnet hatte, daß US-Soldaten aus Vietnam in russische Arbeitslager gebracht worden seien, versicherte einmal mehr, daß er sich persönlich um deren Schicksal kümmern werde. Sollte tatsächlich noch einer jener Soldaten leben, werde er ihn seiner Familie zurückbringen. Unverständnis äußerte der russische Präsident über erste Reaktionen von Parlamentariern, die mit dem Hinweis auf eben diese Enthüllungen von einer Verabschiedung eines im Kongreß vorliegenden Hilfspakets für Moskau abgeraten hatten.
Anders als Michail Gorbatschow in seinen Reden, wich Jelzin deutlich von dem Bild Rußlands als Supermacht ab. Er hob ausführlich die geplanten Abrüstungsschritte hervor und erklärte unter dem Beifall der Parlamentarier, er habe bereits jetzt — auch ohne eine formale Unterzeichung der neuesten Abrüstungvereinbarungen — angeordnet, die Alarmbereitschaft der SS 18 Interkontinentalraketen aufzuheben. Jelzin unterstrich mehrere Male die neue Qualität der Beziehungen zwischen Moskau und Washington, die von Partnerschaft gekennzeichnet seien. Gemeinsam sollten die beiden Nationen für Frieden und Demokratie in der Welt auftreten.
Die freundliche Begrüßung der amerikanischen Parlamentarier und ihre minutenlangen stehenden Ovationen während und am Ende seiner Rede sollte Jelzin dennoch nicht als Zeichen für ihre tatsächliche Hilfsbereitschaft mißverstehen. Im Wahljahr 1992 tun sie sich besonders schwer mit der Genehmigung von Auslandshilfe. Einige wollen das Bush-Paket nur dann absegnen, wenn der US-Präsident gleichzeitig einem Hilfsprogramm für die amerikanischen Großstädte und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zustimmt.
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