West-Ost-Dachrinnen für Leipzig

Seit zwei Jahren bauen ein Leipziger und ein westfälischer Unternehmer einen Betrieb auf  ■ Aus Leipzig Nana Brink

Hans-Martin Kählitz hatte sich etwas ausgedacht, um seinen Geschäftsfreund Friedrich Goswin aus Westfalen in Leipzig zu unterhalten. Als Ur-Leipziger wollte er dem Westfalen ein Stück DDR-Mentalität nahebringen und lud seinen Partner zur Lesung von Erich Loest ein, „ein guter Freund von mir“. Kählitz blickte neugierig auf die Reaktion seines Partners als erzähle Loest gleichzeitig auch aus seinem Leben — über Stasi und Genossen, Hindernisse und verkorkste Biographien. Der Geschäftsfreund erwies sich als sensibler Wessi. Ja, er habe sich schon früher über die geschenkten Romane gefreut. Und dann beugte sich Goswin zu Kählitz und sagte den entscheidenden Satz: „Man soll jetzt nicht so weit nach hinten gucken. Das reicht doch jetzt nach zwei Jahren.“ Zum Glück handeln die beiden Herren nicht mit Geschichten und Befindlichkeiten, sondern mit Dachrinnen.

Nach nunmehr zweijähriger Zusammenarbeit feiern die beiden Mittelständler Richtfest. Auf der grünen Wiese, in einem provisorisch ausgewiesenen Gewerbegebiet, entsteht auf 2.000 Quadratmetern ein Neubau, von dem aus „der Raum Sachsen mit verzinkten, verzinkt- beschichteten und Aluminium-Kantprofilen zuverlässig versorgt werden soll“. Über vier Millionen Mark werden investiert, resümiert Goswin, geschäftsführender Gesellschafter eines hundertjährigen Stahlbleche verarbeitenden Familienunternehmens. Bald wird die neue Firma sogar geteilt, dann gibt es die Schrag Kantprofile GmbH draußen im Neubau und in der Innenstadt die Schrag Bauklempnerei als Handelsgesellschaft mit angeschlossener Fertigung. Schrag in allen Rinnen. Eine Erfolgsstory, nach der die Industrie- und Handelskammer unter der Rubrik „Aufbau des gebeutelten Mittelstandes“ immer sucht (siehe Kasten). Die beiden Partner könnten unterschiedlicher nicht sein. Was sie verbindet, ist die Philosophie „Familienunternehmen“.

Hans-Martin Kählitz, Jahrgang 1932, ist eigentlich Mühlenbauer. „Weil ich als Sohn eines Firmenbesitzers nicht auf die Uni durfte“, stieg er nach der Lehre direkt bei seinem Vater ein, der in der traditionelllen Kürschnerstadt Leipzig den alten Familienbetrieb (Leder- und Pelzverarbeitung) führte. Schließlich zählte der Juniorchef zu den „72ern“: In der letzten Verstaatlichungswellen mußte Kählitz den elterlichen Betrieb verkaufen, blieb jedoch als Direktor angestellt, bis man ihm 1982 einen Genossen vor die Nase setzte. „Ich bin dann gegangen, weil ich es nicht ertragen konnte, wie die alles abwirtschafteten.“ Er ging in die kommunale Wirtschaft und begann mit über vierzig Jahren ein Fernstudium als Diplom-Ökonom.

Das Grundstück, auf dem im Juli 1990 Friedrich Goswin seine ersten Dachrinnen verkaufte, gehörte als sogenannter Rationalisierungsbetrieb zum Kombinat Tierische Rohstoffe und Pelztierproduktion. Auf dem weitläufigen Areal waren in kleinen Bretterbuden sowohl eine Dreherei wie eine Schweißanlage untergebracht. Auf völlig veralteten Anlagen wurden Gerbfässer hergestellt und dem Kombinat in der Metallverarbeitung zugearbeitet.

Im Herbst 1989 betrat Hans-Martin Kählitz seit Jahren zum erstenmal wieder „seinen“ Betrieb — und war schockiert von der volkseigenen Schlamperei. „Aber ich wußte, ich will da wieder hin.“ Er stellte einen Reprivatisierungsantrag, der bis heute nicht bearbeitet ist, und ging auf Partnersuche. Derweil vermietete er mit Billigung der Treuhand das Gelände nebst Maschinen „an sich selbst“.

Friedrich Goswin war damals 25 Jahre im Job und wollte sich „erweitern“. Der Betrieb im westfälischen Hilchenbach lief gut, mittlerweile hatte man drei weitere Dependancen im alten Bundesgebiet hochgezogen. Jahresumsatz des Firmenverbundes: Knapp 60 Millionen Mark. Goswin machte sich auf die Suche nach einem ostdeutschen Partner. Als er auf Vermittlung der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer zum erstenmal im April 1990 in der Leipziger Max-Liebermann-Straße vorfuhr, „sagte ich mir: Hier steigst du gar nicht erst aus“. Er tat es doch und traf auf einen „Gleichgesinnten“.

Schon drei Monate später, direkt nach der Währungsunion, begannen die beiden mit dem Vertrieb von Produkten aus den Werkstätten in Hilchenbach, „fast vom LKW weg“. Die große Halle wurde zur Lagerstätte umfunktionniert. „Wir waren hier die ersten am Ort.“ Anfang 1991 gründeten der Diplom-Volkswirt und der Diplom-Ökonom eine GmbH mit zwei Geschäftsführern, wobei die Mehrheitsanteile bei Goswin lagen. Die Leipziger GmbH fungierte als Tochtergesellschaft des Hilchenbacher Stammhauses. Kählitz brachte das Grundstück und 12 Beschäftigte des ehemals über 70 zählenden Kombinatsbetriebes in das gemeinsame Unternehmen ein.

Für den beginnenden Fertigungsbetrieb — die Dachrinnen nach Maß — lieferte Goswin Maschinen, Material und vor allem Know-how. 6,5 Millionen Umsatz erzielte das Neu- Unternehmen 1991. Zu wenig, um schwarze Zahlen zu schreiben, aber „genug, um zu wissen, daß wir auf dem richtigen Dampfer sind“.