Schöner Wohnen in Neufünfland

Ob beim Mieterverein oder den Mietern: Die bevorstehende Mieterhöhung ab 1.1. 1993 löst in Leipzig heftige Proteste aus  ■ Aus Leipzig Nana Brink

Vor einer Woche klingelte es bei KarinP. um sieben Uhr morgens an der Haustür. Vor ihr stand ein freundlicher Mann mit einer dicken Kladde unter dem Arm, der sich als Geselle eines Fliesenlegerbetriebes vorstellte. KarinP. konnte es nicht fassen: Der Mann kam im Auftrag der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft, murmelte etwas von Instandsetzungsmaßnahmen und brachte ihr Muster für neues Linoleum. Sie blickte auf das angegammelte Braun in Küche und Bad, entschied sich für zartgraues Fliesendesign und räumte nachts glücklich die halbe Wohnung aus. Der Handwerker kam anderntags zwar pünktlich, rührte jedoch keinen Handschlag. Ob sie schon gelesen hätte: Die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (LWB) sei pleite, und sein Meister habe alle Aufträge storniert. Mit über 300 Millionen stünde die LWB bei den hiesigen Handwerkern in der Kreide. Also das Braun müsse erstmal bleiben.

Kniefall vor der Immobilien-Lobby

Damit nicht genug, schlug KarinP. die Morgenzeitung auf: „Die spinnen in Bonn“, titelte die Zeitung, „ab 1.Januar 1993 werden die Mieten im Osten um 2Mark pro Quadratmeter erhöht.“ Blitzartig überschlug die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, was auf sie zukommt: Statt dreihundert Mark wird die Drei- Zimmer-Wohnung über fünfhundert kosten. Sie wird weiterhin nur 1.100 Mark als Sekretärin verdienen, es wird weiterhin keine neue Heizung geben — geschweige denn neues Linoleum —, und ob sie mehr Wohngeld bekommt, steht in den Sternen.

Ob in den Fluren und Amtsstuben des Wohnungsamtes, im Beratungszimmer des Mietervereins, in den privaten Haushalten oder selbst in einigen Maklerbüros — die Nachricht von der bevorstehenden Mieterhöhung schlug ein wie eine Bombe. „Frau Schwaetzer ist vor der Immobilienlobby in die Knie gegangen“, macht sich Holger Tschense, Leiter des Leipziger Wohnungsamtes, unverblümt Luft. „Dieser neue Entwurf trägt weder der sozialen Situation noch den Problemen des hiesigen Wohnungsmarktes Rechnung.“

Überdies trifft die Erhöhung bei Mietern in Leipzig auf eine Gereiztheit ganz anderer Art: Tagelang beherrschte die drohende Pleite der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft die lokalen Schlagzeilen. Im Besitz von 150.000 Wohnungen gilt sie als die größte in ganz Europa; drei Viertel aller Leipziger Haushalte wohnen in kommunalem Eigentum. „All das ist Zunder für die Mieter hier, und die fällige Mieterhöhung ist noch mal ein Schlag ins Gesicht“, kommentierte die sonst staatstragende 'Leipziger Volkszeitung‘.

Holger Tschense möchte „denen in Bonn“ am liebsten mal ein paar Zahlen unter die Nase halten, „von dem permanenten Angstverhalten, mit dem wir hier im Wohnungsamt täglich konfrontiert sind, ganz zu schweigen“. Die Lage auf dem Leipziger Wohnungsmarkt hat eigene Spielarten: Mit 108.000 Wohnungen aus der Gründerzeit verfügt die einstige Handelsmetropole Leipzig zwar über „schöne, aber zum Teil völlig heruntergekommene Wohnungen“. Es gibt ungewöhnlich viele Wohnungen um 100 Quadratmeter, aber fast keine verfügbaren kommunalen Ein- oder Zwei-Raum-Wohnungen mehr. Vor allem die 50.000 Rentner bereiten Tschense Sorgen, die gar nicht mehr in kleinere Wohnungen umziehen, aber mit 800Mark Rente keine 500Mark Miete zahlen können.

Problematisch ist die Lage auch in den Neubauvierteln in Grünau oder Paunsdorf. Über 100.000 der knapp 500.000 Einwohner Leipzigs leben in den Plattenbauwüsten. Die Warmmiete wird dort nach dem neuen Entwurf an die Zehn-Mark-Grenze pro Quadratmeter rutschen: Eine Drei- Zimmer-Wohnung wird dann über 700 Mark kosten. Cirka 60Prozent aller Leipziger Haushalte haben hingegen ein Einkommen zwischen 1.000 und 2.500 Mark. Die einstmals in Bonn festgelegte Marge — daß die Mietkosten nicht mehr als 25Prozent des Einkommens übersteigen sollen — hat für Tschense nicht mal mehr Symbolwert: „Ich kann nicht akzeptieren, daß in den alten Bundesländern Vermieter wegen Mietwucher verklagt werden, und hier passiert der Wucher per Rechtsordnung.“

Bislang beziehen 95.000 Leipziger Haushalte Wohngeld, am 1.Januar 1993 könnten es 150.000 sein. Die städtischen Wohngeldstellen, so fürchtet Tschense, werden dem neuerlichen Ansturm nicht gerecht werden. Da keine neuen ABM-Stellen bewilligt werden, rechnet die Abteilung Personalwesen der Stadt mit zusätzlichen zwei Millionen für Wohngeld-Sachbearbeiter. „Das ist einfach nicht bezahlbar.“

KarinP. Hat unterdessen den Mieterverein aufgesucht, mit 5.400 Mitgliedern die stärkste Organisation in den neuen Bundesländern. Gegen einen Jahresbeitrag von 90Mark plus Rechtsschutzversicherung klärt Geschäftsführerin Anke Matejka KarinP. über ihre Rechte auf. „Die Modernisierung ist momentan unser Hauptproblem. Viele wissen nicht, was Instandsetzung und was Modernisierung ist. Neue Böden sind keine Modernisierung und können nicht auf die Miete umgelegt werden.“

Gegen den neuen Entwurf zur Mieterhöhung hat Anke Matejka allerdings kein Rezept. Er ginge völlig an den tatsächlichen Wohnverhältnissen vorbei, so zum Beispiel bei der zusätzlichen Erhöhung um eine Mark pro Quadratmeter für Wohnungen, deren „Gebrauchsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist“. Unter Beeinträchtigung fallen Schäden an Dächern, Fassaden, Treppen, Fenstern oder Elektro- wie Wasserinstallationen. „Die Instandsetzung der Wohnung muß weiter Sache des Vermieters bleiben“, fordert sie deshalb, „ansonsten ist die Sache nicht mehr bezahlbar — und zwar für einen Großteil der Bevölkerung“. So auch für KarinP.

Kein Wohnungsmarkt

Sie hat währenddessen einen Termin beim Wohnungsamt. Sie hofft nicht mehr auf neues Linoleum, sondern auf eine kleinere Wohnung, „die ich dann bezahlen kann“. Die Sachbearbeiterin lächelt nur milde. Im kommunalen Bereich wäre sie chancenlos, trotz Dringlichkeitsantrag. 13.700 Leipziger warten derzeit auf eine Wohnungszuteilung, hauptsächlich Alleinerziehende, Arbeitslose, Rentner. Es gibt faktisch keinen Wohnungsmarkt, nur einen florierenden Schwarzmarkt, auf dem komplett sanierte Wohnungen zu 17 bis 20Mark pro Quadratmeter gehandelt werden. Einen Mietspiegel, wie in den Altbundesländern üblich, gibt es noch nicht. Derweil zählt die Statistik 20.000 leerstehende Wohnungen.

Geht es um die Belange des privaten Wohnungsmarktes, halten einige das kommende Gesetz selbst noch für ungenügend. Henning Mau, Geschäftsführer des Leipziger Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer- Vereins, fordert eine weitere Steigerung der Mieten, „andernfalls fehlt vielen Eigentümern das Geld, um heruntergewirtschafteten Wohnraum instand zu setzen“. Sein Kollege Peter Zwiener, ebenfalls Makler, bevorzugt hingegen eine differenzierte Sichtweise. Die Mieterhöhung sei nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“. Sanierungsmaßnahmen würden dadurch nicht beschleunigt. Er kritisiert den fehlenden politischen Willen in Bonn, wirkliche Erleichterungen für Eigentümer durchzusetzen, zum Beispiel die Erlassung der Schulden, die viele private Hausbesitzer aus den ehemals zwangsverwalteten Häusern belastet. Holger Tschense vom Wohnungsamt beziffert die Schuldenlast auf privatem Eigentum in Sachsen auf 1,3 Milliarden Mark. „Langsam müßte denen in Bonn doch klar werden, daß wir mit solchen Hauruck- Maßnahmen wie dieser Mieterhöhung den Problemen hier nicht gerecht werden.“ Er fordert — und weiß sich damit einig mit seinen alarmierten Amtsbrüdern in Chemnitz und Dresden — mehr Spielraum für kommunales Katastrophenmanagement. „Wir brauchen eine modifizierte Mietsteigerung, die gewährleistet, daß die Miete nicht mehr als 25Prozent des Einkommens übersteigt.“ Und: es müsse auf Landes- und Kommunalebene mehr Geld für Hauseigentümer geben, das gezielt eingesetzt werden könne.