Gegen die Wahrheitsverwalter im Amt

6. KatholikInnentag von unten in Karlsruhe eröffnet/ 5.000 junge ChristInnen stärken dem Kirchendissidenten Eugen Drewermann den Rücken/ Schwerpunktthema Kolonialisierung  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Karlsruhe (taz) — Weil die katholische Kirche noch immer unbelehrbar an Dogmen aus dem frühen Mittelalter festhält, gibt es auch an der Schwelle zum 21.Jahrhundert einen „Gegenpapst“: Eugen Drewermann heißt der „pontifex maximus“ all der katholischen Christen, die sich von den „Wahrheitsverwaltern im Amte“ (Drewermann) nicht länger wie unmündige Kinder behandeln lassen wollen. Weil aber die Inquisition des „Heiligen Vaters“ im Jahre 1992 für ihre Ketzer keine Autodafes mehr veranstalten darf, muß der mit dem „Kirchenbann“ belegte Drewermann heute nicht im befestigten Avignon residieren: Mit euphorischem Beifall begrüßten am Mittwoch abend rund 5.000 junge ChristInnen den katholischen Dissidenten und die kritischen BefreiungstheologInnen Dorothee Sölle und Norbert Greinacher zur Eröffnung des 6. KatholikInnentages von unten in der Karlsruher Oststadthalle.

Der Religionswissenschaftler, Psychoanalytiker, Schriftsteller und Amtskirchenkritiker Drewermann enttäuschte seine aus allen Teilen der Bundesrepublik angereisten „Brüder und Schwestern“ nicht: Die Ideologie der katholischen Kirche? — Ein „religiös überhöhter Ödipuskomplex“. Die Amtskirche? — „Absolut entbehrlich.“ Der Papst? — „Warten wir nicht länger wie die Lämmer darauf, daß der Leithammel ausgetauscht wird!“ Die katholischen Theologen in den Universitäten? — „Die glauben, daß man die Bibel nur lesen darf, wenn man drei tote Sprachen spricht.“ Drewermann brannte ein rhetorisches Feuerwerk ab gegen den offiziellen Deutschen Katholikentag, der nur knapp einen Kilometer entfernt in der Karlsruher Kongreßhalle residierte und dessen Präsidentin Rita Waschbüsch es vorgezogen hatte, Drewermann nicht einzuladen.

Vor allem die jungen Frauen in der Oststadthalle, denen die katholische Kirche in Theorie und Praxis noch immer die gleichberechtigte Teilnahme am Leben in den Gemeinden verweigert, waren begeistert — trotz der fast unerträglichen Hitze in der überfüllten Halle. Zu der trug auch das Feuer vom letzten KatholikInnentag in Berlin bei, das in einem „irdenen Topf“ auf dem Podium brannte — als „Sinnbild für die Gemeinschaft der Menschen und für die Wärme, die von dieser Gemeinschaft ausgeht“. Daß sich die Referenten bei der Darstellung ihrer theologischen und gesellschaftswissenschaftlichen Reformvorstellungen nicht immer als „Gemeinschaft“ präsentierten, war für den Religionswissenschaftler Greinacher kein Problem. Drewermanns „idealistischer, aus der Psychoanalyse abgeleiteter Ansatz“, so Greinacher, stehe nicht im Widerspruch zur politischen Dimension des Befreiungskampfes vor allem in Lateinamerika. Schließlich bekämpfe man als Kritiker der katholischen Kirche gerade das Dogma der „reinen Lehre“.

Für Dorothee Sölle ist die Individualpsychologie dagegen das „Opium der Mittelklasse“ geworden — „so wie laut Marx die Religion früher das Opium des Volkes gewesen sein soll“. Sich nur mit sich selbst zu beschäftigen impliziere die „Entpolitisierung“. Sölles Appell an die BesucherInnen des alternativen Kirchentages: „Solidarisch bleiben auch in der Welt der Postmoderne!“ Eugen Drewermann, Autor des Buches Tiefenpsychologie und Exegese, hielt dagegen: es sei einfacher, sich für die Dritte Welt zu engagieren, als das eigene Unterbewußtsein aufzuarbeiten: „Wir müssen Gegenkräfte gegen die eigenen Befreiungsängste aufbauen. Deshalb brauchen wir die Psychoanalyse.“

Als Drewermann nach knapp einer Stunde Podiumsdiskussion den Kirchentag von unten verlassen mußte, um an der Universität Karlsruhe einen Vortrag zu halten, folgten ihm seine „Jünger“ in Scharen. Starkult bei den alternativen Christen? — „Irgendwie war es tatsächlich eine Mischung aus Rock am Ring und einem gewaltigen Gottesdienst“, meinte eine von Drewermanns frühzeitigem Abgang enttäuschte Besucherin.

Gestern beschäftigte sich der alternative KatholikInnentag unter dem Motto „Ausbrechen und Aufbrechen“ mit seinem Schwerpunktthema Kolonialisierung. Eine vormittägliche Demonstration durch Karlsruhe sollte den Amtskirchenbrüdern und -schwestern in der Kongreßhalle signalisieren, daß sie — so Mitorganisator Herrmann Josef Tenhagen — „an uns nicht mehr vorbeikommen“.