Kriegszustand in Bosnien verhängt

■ Keiner hält sich an UNO-Ultimatum/ General Mackenzie fordert 48stündige Waffenruhe/ Belgrader Studenten demonstrieren weiter/ Serbischer Thronfolger kehrt am 27.Juni zurück

Sarajevo (ap/taz) — Trotz eines UNO-Ultimatums zur Wiedereröffnung des Flughafens in Sarajevo sind die Kämpfe in der bosnischen Hauptstadt am Sonntag weitergegangen. Die Forderung von UNO-General Lewis Mackenzie nach einer 48stündigen Feuerpause hatten alle Bürgerkriegsparteien unterstützt, die bosnische Regierung verhängte allerdings gleichzeitig den Kriegszustand über die Republik. Damit verbunden ist eine Generalmobilmachung. Alle Seiten beschuldigten sich gegenseitig, für die Eskalation der Kämpfe verantwortlich zu sein.

Mackenzie, Chefunterhändler der Vereinten Nationen in Bosnien- Herzegowina, erklärte am Samstag, in Sarajevo müßten die Waffen für mindestens 48 Stunden schweigen, bevor die UNO die Bemühungen um Wiedereröffnung des Flughafens in der Hauptstadt erneut aufnehme. Der Flughafen, der wegen der heftigen Kämpfe in Sarajevo seit etwa zwei Monaten geschlossen ist, wird dringend benötigt für die Anlieferung von Hilfsgütern für die 300.000 Bewohner der Stadt.

Mackenzie machte ausdrücklich alle Parteien für die bisherigen Waffenstillstandsverletzungen verantwortlich. „Wir haben gesehen, daß jede Seite irgenwann einmal mit den Schußwechseln angefangen hat. Das ist nicht hinnehmbar“, sagte der General. Die bosnische Regierung teilte mit, sie werde die Waffenruhe beachten, behalte sich aber das Recht vor, bei einem Angriff das Feuer zu erwidern. Auch der Serbenführer Karadzic erklärte, er unterstütze den Vorschlag Mackenzies. Er machte die bosnische Territorialeinheit für die jüngsten Kämpfe verantwortlich, erwähnte den Bruch der von ihm ausgerufenen Feuerpause durch serbische Truppen jedoch nicht.

In der Nacht zum Sonntag schlugen sowohl in der Altstadt als auch in mehreren Wohnvierteln Raketen und Granaten ein. In dem Vorort Dobrinja lieferten sich Truppen beider Seiten heftige Bodenkämpfe. Der serbische Rundfunk berichtete, eine moslemische Offensive sei zurückgeschlagen worden. Weiter hieß es, mehrere Gebäude stünden in Flammen, darunter auch das Verlagshaus der größten bosnischen Zeitung 'Oslobodjenje‘. Am Samstag abend wurde das UNO-Hauptquartier in Sarajevo zweimal von Mörsern getroffen. Zuvor war die Wagenkolonne Mackenzies bei der Rückkehr vom Flughafen beschossen worden. Dabei wurden drei UNO-Mitarbeiter verletzt, einer davon schwer.

Proteste serbischer Studenten an der Universität von Belgrad gegen die Regierung von Präsident Slobodan Milosevic gingen am Samstag den sechsten Tag weiter. Hunderte Studenten hielten die Hochschule besetzt, Tausende forderten den Rücktritt des Kabinetts. Der jugoslawische Thronanwärter Alexander Karadjordjevic kündigte seine Rückkehr nach Serbien an. Er wolle dort für eine konstitutionelle Demokratie werben, sagte der in London geborene Geschäftsmann am Freitag im kalifornischen Beverly Hills. Er will am 27. Juni nach Belgrad reisen. An diesem Tag sind dort große Demonstrationen gegen Milosevic geplant.