Lichtenberg ertrinkt in Dienstleistungen

■ Zukunft von »Elektrokohle Lichtenberg« unsicher/ Die wirtschaftliche Entwicklung des Bezirks geht nur langsam voran/ Dringend notwendig ist ein Gewerberahmenentwicklungsplan/ Treuhand plant »integrierte Standortentwicklung«

Lichtenberg. Werner Rodenberg, Betriebsratsvorsitzender im Betrieb »Elektrokohle Lichtenberg« (EKL) hat ein »Glaubwürdigkeitsproblem«: Schon viel zu lange kann er den übriggebliebenen 500 Beschäftigten (von ehemals rund 2.700) im einst größten Industriebetrieb des Bezirks nicht erklären, was mit ihnen passieren wird. »Sie glauben mir einfach nicht mehr. Wir wissen nur, daß es einen Vorvertrag mit einem Käufer unseres Betriebes gibt. Noch sind wir ein Treuhandbetrieb. Vielleicht klappt es im September. Mehr kann ich den Kollegen nicht sagen.«

Ähnlich verworren und unsicher stellt sich die Situation auch für den bisherigen Wirtschaftsstadtrat Hans Krautzig (CDU) dar. In seinem Bezirk wohnen 170.000 Einwohner, davon sind 72 Prozent im arbeitsfähigen Alter. Angaben über die noch vorhandenen Arbeitsplätze in den Industrie- und Gewerbegebieten Herberg-/Orloppstraße, Blockdammweg und der südlichen Landsberger Allee kann er nicht machen, auch die genaue Zahl der Arbeitslosen ist aufgrund der Arbeitsamtsstrukturen noch nicht angegeben worden. »Etwa 30.000 sind es in Mitte, Friedrichshain und Lichtenberg zusammen. Die können das noch nicht auseinanderrechnen.«

Wie viele dieser Arbeitslosen ehemals beim größten Arbeitgeber des Bezirks, der Stasi, waren, entzieht sich seiner Kenntnis. Er hält es aber für unwahrscheinlich, daß die hohe Zahl von Gewerbeanmeldungen im Bereich von Versicherungsvertretungen, Detekteien und Schreibbüros die neue wirtschaftliche Aktivität von Mielkes aufgelöster Truppe anzeigt.

Bisher gab es in wirtschaftlichen Fragen weitgehende Übereinstimmung zwischen allen Parteien des Bezirks. Für die Feststellung, daß die ehemaligen Kombinate und Industriebetriebe im Gebiet Herzberg-/ Orloppstraße (beispielsweise Elektrokohle Lichtenberg) in dieser Form nicht zu erhalten seien, erhielt Krautzig von allen Seiten Zustimmung. Einen Vorgeschmack auf die Zukunft vermitteln die Pressematerialien des Bezirks: »Umweltverträgliches, produzierendes Gewerbe im Kern sowie Büros und dienstleistendes Gewerbe als Randbebauung werden die zukünftigen Arbeitsplätze dieses Gebietes sein«. Sogar der Betriebsrat von EKL stimmt dieser Perspektive zu. »Wir waren ja wirklich die größte Dreckschleuder hier im Bezirk.« Werner Rodenberg beansprucht für sich sogar die Erfindung der Konzeption vom Industrie- und Gewerbepark in diesem Gebiet. Im Mai 1991 hatte die Geschäftsführung der EKL eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für rund 500 Kollegen des Betriebes durchgesetzt. Von der Treuhand erhielten sie zusätzlich ein großzügiges Sachkostendarlehen. Sie waren darauf eingestellt, mittels der AB-Maßnahmen das Gebiet Herzberg-/Orloppstraße zusammen mit möglichen Käufern zu entsorgen und zu erschließen. Doch seit Mai 1991 sei zuviel kostbare Zeit vergangen, so Rodenberg. Damals habe die Treuhand zunächst international mögliche Absatzchancen der EKL-Produkte geprüft. Nachdem im November 1991 die Liquidation des Betriebes schon beschlossen war, sei man heute praktisch wieder auf dem Stand vom Mai 1991.

Hans Krautzig dagegen hält in Zukunft eine positive wirtschaftliche Entwicklung in Lichtenberg für möglich. Der Bezirk und Senat seien jetzt dabei, einen Gewerberahmenentwicklungsplan aufzustellen. 30.000 Arbeitsplätze könnten im Gebiet Herzberg-/Orloppstraße entstehen. Weitere 30.000 Arbeitsplätze seien im Gebiet der südlichen Landsberger Allee angedacht. Die angestoßene Entwicklung hält Krautzig für richtig, doch gehe es noch viel zu langsam.

Knut Herbst vom Präsidialbereich Länderfragen der Treuhand ist dagegen überzeugt, daß sich dies demnächst ändern wird. Ähnlich wie schon in Oberschöneweide ist man innerhalb der Treuhand dabei, die nötigen Voruntersuchungen anzustellen, um eine »integrierte Standortentwicklung«, eine Mischung von Wohnen und Gewerbe, in Lichtenberg zu ermöglichen. Im Vordergrund dieser Voruntersuchungen stehen die Fragen der Eigentumsansprüche an Grund und Boden und die Abstimmung zwischen den verschiedenen Branchenzuständigkeiten in der Treuhand selbst. »Dies ist in Lichtenberg schwieriger als in Oberschöneweide. Hier haben wir nicht die Dominanz weniger großer Betriebe. Hier müssen wir Treuhand- intern mehr koordinieren.« Ein erstes Ergebnis soll, so Herbst, Ende Juni vorgelegt werden. Martin Jander