GASTKOMMENTARE
: Rabin, der israelische de Gaulle?

■ Zum Sieg der „Arbeitspartei“ in Israel

Die Bevölkerung Israels wird den 23. Juni 1992 sicherlich lange in Erinnerung behalten. Dieser Tag wird ebenso in die Geschichte eingehen wie jener im Jahr 1977, als Begin die Wahlen gewonnen und die Macht übernommen hatte. Viele Israelis, insbesondere aus dem sogenannten linken Lager, fühlen sich wie von einem Alptraum befreit und feiern den Sieg Rabins so, als ob er schon Ministerpräsident wäre und alle Probleme gelöst hätte. So schnell schießen aber die Preußen nicht und sicherlich auch nicht Rabin, der jetzt vor der schwierigen Aufgabe steht, durch Koalitionen mit mehreren Parteien eine handlungsfähige Regierung zu bilden.

Der Sieg Rabins brachte auch die Unzufriedenheit des Volkes mit der Likud-Politik zutage, einer Politik, die täglich von Stärke gesprochen hat, in Wirklichkeit aber Israel schwächte: Innenpolitisch, wo die Bevölkerung schmerzlich feststellen mußte, daß Likud nicht nur die Intifada nicht beenden kann, sondern noch nicht einmal in der Lage ist, die Sicherheit im Kernland Israels zu gewährleisten. Außenpolitisch, wo doch selbst der dümmste Israeli sich gefragt hat, ob die harte und unerbittliche Konfrontation mit den USA wegen der Siedlungen wirklich notwendig war. Rabin hat den Palästinensern Land gegen Frieden zugesagt, er ist bereit, mit ihnen über eine Autonomie zu verhandeln, wo doch jeder, auch Rabin, weiß, daß eine solche Autonomie früher oder später zu einem selbständigen palästinenischen Staat führen wird. Davor aber haben die meisten Israelis noch Angst, und Rabin wird ihnen, falls er es ernst meint, diese Angst nehmen müssen. Das Problem des Friedens mit den Palästinensern ist für die meisten Israelis ein rein psychologisches, zumal viele wissen, daß ein palästinensischer Staat für Israel militärisch keine Bedrohung darstellt. Für die meisten Israelis bedeutet aber Frieden die Rückgabe von Land und insofern eine Einengung ihrer Freiheit. Sie müssen endlich lernen, daß Frieden auch das Gegenteil bedeuten kann: offene Grenzen, freier Transit, Handel mit allen arabischen Nachbarn, Austausch von Wissenschaft, Kunst und Kultur, von Technik und landwirtschaftlichem Know-how ganz zu schweigen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es wird an Rabin liegen, die Grundsteine für diese Entwicklung zu legen und das Volk auf den schmerzhaften Abschied von der Idee eines „Groß-Israel“ vorzubereiten, wie seinerzeit de Gaulle die Franzosen im Falle Algiers. Es war wahrhaftig eine Schicksalswahl. Das Volk signalisierte, daß es endlich eine Lösung des Konflikts herbeisehnt. Man wird jetzt sehen, was die Politik daraus macht. Abraham Melzer

Herausgeber der jüdischen Monatszeitschrift 'Semit Times‘