Die Wiedergeburt Eurasiens

■ Elf Staats- und Regierungschefs gründen in Istanbul eine Wirtschaftszone der „Schwarzmeer-Zusammenarbeit“/ Vorbild ist die EG/ Gespräche über Dnjestr-Konflikt

Istanbul (afp/dpa/taz) — Für die Türkei hat sie geradezu visionäre Bedeutung: die „Erklärung von Istanbul“, die elf Staats- und Regierungschefs der Schwarzmeerregion, des Balkans und des Kaukasus in der Stadt an der Grenze zwischen Asien und Europa gestern unterschrieben. Eurasien, so schwärmte der türkische Außenminister Hikmet Cetin, werde durch das Gipfeltreffen der Schwarzmeerstaaten wieder zur geopolitischen Realität.

Zunächst geht es in dem Dokument jedoch lediglich um die Bildung einer Wirtschaftszone der „Schwarzmeer-Zusammenarbeit“ (SMZ) nach dem Vorbild der Europäischen Gemeinschaft (EG). Mit ihr wollen Rußland, die Ukraine, Georgien, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien, Bulgarien, Albanien, Greichenland, Rumänien und die Türkei den freien Verkehr von Arbeitskräften, Waren, Dienstleistungen und Finanzen ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist die Gründung einer Schwarzmeerbank für Außenhandel und Investment.

Eine weitergehende Zusammenarbeit kündigt sich freilich in einem zweiten Dokument der „Elf“ an: In der „Bosporus-Erklärung“ bekräftigten sie ihren „Willen zur friedlichen Konfliktlösung“ nach den Prinzipien der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).

Und an Konflikten, die es in der Region zu lösen gibt, fehlt es dann auch nicht. So mancher Beobachter sah die Gespräche zwischen den Vertretern der verschiedenen Konfliktparteien im Kaukasus oder am Dnjestr sogar als wichtigsten Teil der Schwarzmeergipfels. Unter anderem wollten noch am Donnerstag abend die Präsidenten Moldovas, Rumäniens, der Ukraine und Rußlands über den sich ausweitenden Konflikt um die sogenannte „Dnjestr-Republik“ beraten. In der Dnjestr-Region leben überwiegend Russen und Ukrainer, die gegen die Wiedervereinigungspolitik Moldawiens mit Rumänien sind und für die Unabhängigkeit ihrers Gebietes nördlich des Dnjestr-Flusses kämpfen.

Ob eine Einigung jedoch möglich sein wird, scheint mehr als fraglich. Denn: Während Rußland und die Ukraine sich auf eine gemeinsames Vorgehen gegen den gemeinsamen „Gegner“ einigen konnten, erhob Moldova erneut Vorwürfe gegen die 14. GUS-Armee. Ihre Einheiten sollen am Donnerstag massiv in die Kämpfe um die Orte Koschieri und Koschniza eingeriffen haben.

Vor der Unterzeichnung der Dokumente hatte der georgische Staatsratsvorsitzende Eduard Schewardnadse die Bildung einer „Allianz der Länder des Schwarzmeer-Beckens“ angeregt, der neben wirtschaftlichen Kompetenzen auch politische Vorrechte eingeräumt werden sollten. Die „Sicherheit“ sei gegenwärtig die Hauptsorge der Staaten in der Region, führte der frühere Außenminister der Ex-UdSSR aus. „Wir durchlaufen eine schwierige Periode, die wirtschaftliche Zusammenarbeit kann nur schwerlich ohne politische Zusammenarbeit bewältigt werden“, betonte Schewardnadse. Außerdem forderte er, in den Kriegsgebieten einen sofortigen Waffenstillstand anzuordnen. Somit könne der Weg für Verhandlungen geebnet werden. Ein Ausschuß solle dann mit etwas Distanz und spätestens binnen fünf Jahren die Grenzstreitigkeiten untersuchen. Der politischen Organisation, für deren Sitz er Istanbul vorschlug, soll den Vorstellungen Schewardnadses zufolge ein Generalsekretär vorstehen.

Auch der russische Präsident Boris Jelzin unterstrich die „politische Bedeutung“ der Schwarzmeerregion. Griechenlands Regierungschef Konstantin Mitsotakis stellte die Schwellenposition seines Landes als Mitglied sowohl in der SMZ als auch in der EG in den Vordergrund. Das ärmste Land Europas, Albanien, war von den übrigen zehn Staaten erst in der Nacht zu dem Gründungsgipfel zugelassen worden. Ebenso wie Griechenland, Moldawien, Aserbaidschan und Armenien liegt es nicht direkt am Schwarzen Meer. Am Donnerstag war der türkische Präsident Turgut Özal wegen eines Kompetenzgerangels mit seinem Regierungschef Süleyman Demirel zunächst nicht auf der von ihm einberufenen Konferenz anwesend. her