Gutachten entlarvt Krauses Autobahn

In einem Gutachten für die schleswig-holsteinische Landesregierung kommt der Ex-Umweltsenator Kuhbier zu dem Schluß, daß die Nord-Autobahn von Lübeck nach Stettin keinen Sinn macht  ■ Von Bettina Markmeyer

Berlin (taz) — Der ehemalige Hamburger Umweltsenator Jörg Kuhbier (SPD), der sich heute als Anwalt mit rechtlichen Problemen im Umweltschutz beschäftigt, fällt über die Politik seiner ParteifreundInnen in der Kieler Landesregierung ein vernichtendes Urteil: Sie seien im Begriff, gegen alle ökologische Vernunft, ohne klare gesetzliche Grundlage, ohne erkennbaren wirtschaftlichen Nutzen, aufgrund höchst fragwürdiger Verkehrsprognosen und gegen ihr eigenes Parteiprogramm dem Autoverkehr ein weiteres Jahrhundertopfer zu bringen.

Dringend empfiehlt der Ex-Senator den GenossInnen, ihren Beschluß für die Ostseeautobahn A20, eines der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, „neu zu bewerten“, statt sich „ohne Not“ zu Erfüllungsgehilfen des Bundesverkehrsministers zu machen.

Bezahlt wurde Kuhbier nicht etwa von Umweltschutzverbänden, sondern von ebenjenem Minister, der die Autobahnplanung vorantreibt, dem schleswig-holsteinischen Wirtschafts- und Verkehrsminister Uwe Thomas (SPD). Von ihm hatte Kuhbier den Auftrag, „die zu erwartenden kontroversen Auseinandersetzungen zu moderieren“.

Die Landesregierung nehme, versichert Thomas nun, den Kuhbier- Bericht „sehr ernst“, messe der A20 aber „unverändert eine hohe Bedeutung zu“. Er kündigte an, die Verkehrsprognosen unter Berücksichtigung eines besseren ÖPNV-Angebots nachrechnen zu lassen, über eine „ökologische Bauweise“ der Autobahn zu rden und die Umweltfolgen zu berechnen, sofern statt der A20 im Süden Lübecks Umgehungsstraßen gebaut würden.

Dreieinhalb Monate lang ist Kuhbier als „Moderator“ durch den Lübecker Raum gereist. Er stellt fest, daß nicht nur Betroffene, die an der geplanten Trasse leben, sondern genauso jene protestieren, „die eine andere Verkehrspolitik fordern“. Die GegnerInnen der A20, die von Lübeck nach Stettin gebaut werden soll, hätten mit „hoher Sachkenntnis“ und den BefürworterInnen fachlich überlegen argumentiert, weil sie „die Verkehrspolitik mit anderen Politikbereichen vernetzen“.

Kuhbiers Bericht hat großes Gewicht, weil er sich die Argumentation der Autobahngegner im ganzen zu eigen macht und hieraus seine Empfehlung ableitet. Dabei hatte der Ex-Senator bei den Bürgerinitiativen einen schweren Stand, weil diese — zu Recht — vermuteten, die Landesregierung habe ihn lediglich als Blitzableiter während des Wahlkampfs eingesetzt.

Scharf wendet sich Kuhbier dagegen, die A20 als, seiner Meinung nach, verfassungswidriges Investitionsmaßnahmegesetz durch den Bundestag zu bringen, wie es der Bundesverkehrsminister vorhat. Außer dem Gang zum Bundesverfassungsgericht haben die Betroffenen dann keine rechtlichen Möglichkeiten. Bereits die Planung finde teils im rechtsfreien Raum statt und beraube die BürgerInnen ihrer Rechte. Die schleswig-holsteinische Landesregierung arbeite „aktiv an ihrer Teilentmündigung in der Verkehrsplanung mit“, da das Maßnahmegesetz „die Kompetenz der Länderverwaltung außer Kraft setzen soll“. Die BürgerInnen erwarteten dagegen von Kiel, daß man sich den Bonner Plänen entgegenstelle. Kuhbier: „Wir müssen uns hüten, gerade einen so einmaligen geschichtlichen Vorgang wie die Wiedervereinigung zum Anlaß zu nehmen, unsere Verfassung in essentiellen Bereichen, wie z.B. der Rechtsweggarantie, anzutasten“.

Weiter zweifelt der Kuhbier-Bericht sowohl die Verkehrsprognosen als auch die Kosten-Nutzen-Rechnung an, mit der die A20 als „vordringlicher Bedarf“ in den Verkehrswegeplan aufgenommen wurde. Die Investitionskosten seien auf einem Preisniveau von 1983 berechnet worden, also „völlig unrealistisch“, der zu erwartende Autoverkehr absichtsvoll hoch gerechnet. Da die A20 ohne Alternativüberlegungen zum Ausbau der Schiene, Umgehungsstraßen und einer sanften Verbesserung der mecklenburgischen Infrastruktur geplant werde, prognostizierten die im Auftrag der Ministerien arbeitenden Gutachter ihr folglich genau den Verkehr, den sie mangels Alternativen erst erzeuge. Wirtschaftlichen Nutzen bringe die A20 allenfalls kurzfristig für den Hamburger und Lübecker Raum, nicht aber für das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern. Hier sauge die Autobahn vielmehr qualifizierte Arbeitskräfte nach Westen ab, ermögliche den Transport westlicher Konsumgüter ins Land und diene als Transitverbindung nach Polen. Auch die verkehrlichen Argumente, vor allem, daß die A20 wie eine Umgehungsstraße die Innenstädte von Lübeck, Wismar und Rostock entlaste, stellt der Kuhbier-Bericht in Frage: „Die A20 kann die ihr zugewiesenen drei Funktionen — Regionalstraße; überregionale Verbindung zwischen Ost- und Westdeutschland; Transitstrecke zwischen West- und Osteuropa — nicht leisten“. Denn: „Die Begründung für eine Funktion und die sich daraus ergebenden Auswirkungen stehen im Widerspruch zu einer anderen Funktion.“

In Fragen der Ökologie und des Naturschutzes, stellt Kuhbier fest, seien sich GegnerInnen und BefürworterInnen einig: Unbestritten zerstöre der Bau der A20 wertvolle, nicht ersetzbare Landschaft und empfindliche Biotope — welche Trasse man auch wähle. Umweltschutz aber als Nebensache zu behandeln mache die PolitikerInnen völlig unglaubwürdig. Für die BürgerInnen werde deutlich, daß die A20 allein politisch, „als Prestigeobjekt für Mecklenburg-Vorpommern“ und „aus der Angst der Kieler Landesregierung“ beschlossen worden sei, „bei der Verteilung der Milliarden für die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit zu kurz zu kommen“. Allen wirtschaftlichen und verkehrlichen Argumenten hafte demgegenüber „das Odium der Manipulation, der Gefälligkeit und der Unehrlichkeit an“.

Siehe auch Seite 12