WAND UND BODEN
: Mittelständischer Dekorateur lebenslänglich

■ Kunst in Berlin jetzt: A.K. Dolven, Positionen Israel, O Zwei: September-Projekt, Richard Artschwager

Im hintersten Winkel des ehemaligen West- Berlins soll die neue Rubrik beginnen, auf der Suche nach guten, wesentlichen und entnervenden Phänomenen an Wand und Boden: Pfuelstraße 5 in SO 36. Über den Hefegerüchen einer türkischen Kantine schwebt die Galerie Gebauer und Günther, und an den mattgrauen Wänden derer Fabriketage schweben die Bilder von A.K. Dolven, subtile Malerei mit eingängigem Motiv: das versetzte Kreuz der norwegischen Flagge erscheint als gipsweiße Bahn auf hell-betongrauem Grund, unter dem die Struktur der Leinwand noch gerade sichtbar ist. Dem Bild »ohne Titel« gegenüber hängt, im schmaleren (stilleren) Trakt der Galerie, das identische Motiv, spiegelverkehrt — (also tatsächlich »wie im Spiegel«); und im weiteren Teil des Raums, zur Straße hin, werden zwei Varianten vorgeführt: dasselbe Motiv als Hochformat, und als weiteres Motiv die Umkehrung der »Farb«-Werte: das graue Kreuz auf weißem Grund. Verinnerlicht man die Vierer-Aufteilung des Feldes, kommt der Galerieraum einem vor, als sei sein Grundriß aus diesem System hervorgegangen, per Aussparung eines der Felder. Raum und Arbeiten sind zusammen außerordentlich suggestiv.

Vor einem Jahr hieß diese Malerin, die 1953 in Oslo geboren wurde, noch Anne Katrine Dolven: ob die Neutralisierung des Vornamens (bei Künstlerinnen) Mode wird? (Bis zum 18. Juli, Mi.-Sa., 13-19 Uhr)

Positionen Israel ist am Sonntag in den Studios I und II des Künstlerhauses Bethanien eröffnet worden. Tatsächlich zu sehen sind ausschließlich Maler(innen), und man darf sich wundern, wie deutlich sie sich innerhalb der stilistischen Rahmendaten amerikanischer und europäischer Nachkriegsmalerei bewegen; wären da nicht hebräische Schriftzeichen bei dem einen, Anflüge von Chagall beim anderen, dürfte die Show genausogut als Beitrag aus Madrid durchgehen. Yehiel Shemi paraphrasiert die japanisierenden schwarzen Balken von Pierre Soulages, Raffi Lavie hält sich an das geritzte Pastell Cy Twomblys, und Ido Bar-El betreibt die Malerei reduktiv und ikonenhaft, wie man es Mitte der Achtziger im East Village begonnen hat.

Maler und Malerinnen, so scheint es, bleiben die Glücksritter der bürgerlichen Kultur: entweder man wird mit viel Glück vor Mitte vierzig ins Pantheon des Kunstbetriebs geschossen — oder bleibt mittelständischer Dekorateur lebenslänglich, auch nicht die übelste aller Möglichkeiten, sein Leben herumzubringen. Einzig zwei Bilder von Lea Nikel, grob anzusiedeln zwischen »Cobra« und de Kooning, wirken intensiv, aber ohne falsche Emotionalität durchgearbeitet. Die Dame ist jetzt in ihren Siebzigern. Man würde sich wünschen von ihr — jedenfalls Rahmen einer vorgeblich repräsentativ israelischen Show —, mehr Werke zu sehen, aber die Ausstellung ist ohnehin nicht die Arbeit eines engagierten Kurators. Was zu sehen ist, ist die Sammlung Rainer Höcherl und Willy Asperger, was weder aus dem Titel der Ausstellung noch aus der Einladung hervorgeht. (Bis zum 25. Juli, Di.-So., 14-19 Uhr)

Man könnte meinen, in der Oderberger Straße 2 wäre ein Kinderladen eingezogen: ein lustiger grüner Vogel sitzt im Glas der gelb gerahmten Tür, und auf einer der beiden Schaufensterscheiben ist, neben anderen Zeichen und Figuren, ein Mann mit Pfeife zu sehen, der mit einem Violinschlüssel schwanger geht. Was muß »Fluxus« für ein Spaß gewesen sein für die, die vor nun fast dreißig Jahren dabei waren, wie Henning Christiansen, der in der Galerie O Zwei ausstellt. Die Galerie, die von Wolfgang Krause geführt wird, verlängert die Christiansen-Ausstellung voraussichtlich bis zum Wochenende (Di.-Sa., 12-19 Uhr). Danach erarbeiten die Künstler, die zum Umfeld von »O Zwei« gehören, eben dort ein Projekt mit Installationen und Skulpturen, das im September auf der Straße stattfinden soll, zwischen Kastanien- und Schönhauser Allee. Die Austellungsräume bleiben in dieser Zeit zugänglich; das sich entwickelnde Projekt ist zu besichtigen.

Zu den Chiffren der Kritik gehört es zu behaupten, jemand sei sich »treu geblieben« oder nicht; sowohl das eine wie das andere wird gelobt oder auch getadelt. Die Frage sollte vielmehr sein, ob im Beginn einer künstlerischen Entwicklung ein Potential steckt, das sich fortwährend entfalten läßt. Und wenn nicht, ob ein Künstler bemerkt, wie seine Quellen versiegen.

Richard Artschwager gehört zu denen, deren anfängliches Fragen komplex und widersprüchlich genug war, um einen Künstler über dreißig Jahre in lebhaftem Kontakt mit dem eigenen Material zu halten. Sieht man sich jetzt die Fotografien seiner frühen Ausstellungen an, möchte man meinen, Artschwager habe die Postmoderne erfunden: die analytische Kälte, die Distanz zum Material, die brachiale Kreuzung von Formen. Seine Bilder erreichen locker die Grenzen des gewöhnlichen Ekels, zum Beispiel »Plane«, eine zweifach gerahmte Fläche von Holzimitat, in die das Motiv des startenden Flugzeugs graugefärbt eingelassen ist; darunter wird der Bildträger — Preßspan — sichtbar. Wie wohl kein anderer Zeitgenosse macht Artschwager deutlich, wie mit der industriellen Herstellung der Bau- und Handwerksstoffe der Zugriff auf die Form verstellt wird, der Bezug zur Tradition abreißt, die Gewißheit von der »Richtigkeit« eines Bilds oder Gegenstands zerbricht. Von Beruf einst Tischler, hat Artschwager sein Motiv des unheimlichen Stuhls in eine neue Form gebracht: der »Splatter Chair II« läuft als Relief auseinander wie ein großes Insekt, das man durch Heranfahren eines Kleiderschranks in einer Zimmerecke zerquetscht hat. Die eine Version ist in Kassel zu sehen; die andere bei Franck + Schulte, Mommsenstraße 56 (fast Ecke Leibniz), bis zum 22. Juli, Mo.-Fr., 11-18 Uhr. Ulf Erdmann Ziegler