Beißreflexe noch intakt

Ein Hearing zum Journalismus im ersten Nachkriegsjahrzehnt  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Als das Adolf-Grimme-Institut sein Projekt „Unsere Medien? Unsere Republik?“ gerade abgeschlossen hatte, fiel die Mauer. Grund genug, nun auch die Mediengeschichte der DDR aufzuarbeiten. Fünf „Medienhistorische Hearings“ sollen mit dazu beitragen, die journalistischen und künstlerischen Produktionsbedingungen in den DDR-Medien wie auch ihren Wandel im zeithistorischen Kontext zu analysieren. Die Anfänge des Journalismus nach 1945 und die Pressepolitik der Alliierten standen am vergangenen Donnerstag in Berlin bei der ersten Veranstaltung auf dem Programm.

Da saßen sie nun einträchtig zusammen, die alten Männer der ersten Stunde, die der Kalte Krieg zu „Brüdern in Feindschaft“ gemacht hatte, wie es einer formulierte. Drei Ostler— zwei Rundfunkleute, einer von 'adn‘ — gegen drei Westler, einer vom RIAS, ein einstiger amerikanischer Kontrolloffizier und der obligatorische Experte, ein Professor. Wie war das damals nach der „Stunde Null“?

Wie es mit Erinnerungen nun einmal so ist, überwiegt das Positive. So malte Hans Mahle, der erste Generalintendant des Berliner Rundfunks, das Bild eines Senders, der mit Hilfe von Ratgebersendungen wie Was ich wissen muß und Die Sorgenpause den Kampf ums Überleben begleitete. Weder Vorgaben noch Eingriffe, so Mahle, hätten die Aufbauphase behindert. Auch Alfred Fleischhacker, ab 1949 Redakteur beim Deutschlandsender, sprach vom guten Verhältnis zu den sowjetischen Kontrolloffizieren. Zensur, so Fleischhacker, der aus dem englischen Exil zurückgekommen war, habe es nicht gegeben.

Das idyllische Märchenbild vom zensurfreien Berliner Rundfunk war dem Professor für Zeitgeschichte an der Uni Bielefeld, Christoph Kleßmann, dann doch zuviel: In allen Besatzungszonen habe sich die jeweilige alliierte Macht der Zensur bedient. Die Frage sei nur, „in welcher Form das passiert ist“. Dadurch wurde immehin klar, daß es keiner profanen Zensurmechanismen bedurfte. Die am Aufbau der Nachkriegsmedien Beteiligten waren auf Grund ihrer politischen Orientierung Garanten dafür, daß der Einfluß der Alliierten sichergestellt wurde. Hans Mahle, der sich heute noch als Kommunist bezeichnet, war beispielsweise mit der Gruppe Ulbricht von Moskau zurückgekommen. Klar wurde auch, daß diese Eingriffsmechanismen nicht mit der bürokratisch-behördlichen Zensur späterer Jahre verglichen werden dürfen.

An der Frage der „Meinungspluralität“ erhitzten sich am Donnerstag abend die Gemüter. Beide Seiten nahmen für sich in Anspruch, eine um Objektivität bemühte Berichterstattung geliefert zu haben. Und ganz plötzlich funktionierten die alten Beißreflexe wieder. Hier diejenigen, die dem Antifaschismus verpflichtet waren, dort diejenigen, die im RIAS ihr Sprachrohr hatten. Ein Hauch Kalten Krieges wehte durch den Raum, wäre nicht der Professor aus Bielefeld gewesen, der das Ganze neutralisierte. Er wies darauf hin, daß es von 1945 bis 1947 durchaus noch Pluralismus gegeben habe und daß man diese Zeit nicht mit dem trostlosen Bild späterer Jahre vergleichen dürfe.

Gleichwohl, die Gefahr, in vorgefertigten Klischees und Denkschablonen stecken zu bleiben, konnte den ganzen Abend über nicht gebannt werden. Im Gegenteil, im Bemühen, der Geschichte auf den Grund zu gehen, gelang es der sehr engagierten Moderatorin vortrefflich, ihre eigenen Vor(?)-Urteile zum Gegenstand der Erörterung zu machen. So etwa, wenn sie partout vorhandene Gemeinsamkeiten zwischen den Ostjournalisten und denjenigen im Westen herausarbeiten wollte. Das Bekenntnis von Peter Schulze, RIAS-Mann der ersten Stunde, war hingegen eindeutig. Auf die Frage, ob es denn Journalisten in der sowjetischen Besatzungszone gegeben habe, die ihm damals wie heute Respekt abverlangten, antwortete er: „Nein. An Kollegen von drüben, die ich bewundern sollte oder bewundert hätte, kann ich mich nicht erinnern.“ Das penetranteste Nachfragen half nichts, was diese Journalisten verband, war einzig die gemeinsame Sprache. — Alles in allem war der Abend gut gemeint, doch allzu offensichtlich wurde, daß die sperrige Vergangenheit sich so gar nicht in das erkenntnisleitende Raster der Veranstalter pressen läßt. Umgekehrt waren die alten Herren auch gar nicht bereit, ihre überkommenen ideologischen Orientierungen in Frage zu stellen. Und ist es denn der größte Verdienst des Abends, daß er klargemacht hat, wie unterschiedlich nach zwei Jahren die Geschichte noch immer erinnert wird. Die deutsch-deutsche Mediengeschichte, zumindest ihr erster Teil, wartet weiter auf ihre Aufarbeitung.