Juristen- oder Familiensozialismus?

■ Zwischenbilanz ohne Auftrag von Freya Klier, taz vom 23.6.92

betr.: Zwischenbilanz ohne Auftrag von Freya Klier,

taz vom 23.6.92

Als widerliche, haßerfüllte Polemik empfinde ich den Beitrag von Freya Klier. Erfolge als Schuldbeweis?

So stellt man die Dinge auf den Kopf!

Wo sind denn die Opfer, die Stolpe denunziert und hinter Gitter gebracht hat? Nichts dergleichen, aber das verstehe ich als ehemaliger DDR-Bürger unter einem Spitzel alias IM.

Bis zum mir nicht bekannten Beweis des Gegenteils ist und bleibt Manfred Stolpe für mich ein Ehrenmann. Auf diplomatischem Wege hat er gewiß mehr erreicht als Leute, die mit dem Kopf durch die Wand wollten. Dr. Gerd Bährecke,

Hattersheim

Für den vollständigen Abdruck von Freya Kliers Beitrag „Zwischenbilanz ohne Auftrag“ zolle ich der taz ganz große Anerkennung. Es ist dies eine der bisher leider wenigen Arbeiten, die versuchen, etwas Licht in die inneren Zusammenhänge der Infiltration und Gleichschaltung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens — und so auch der Kirchen — durch die Kräfte der SED-Diktatur zu bringen. Traurig ist nur, daß es heute, fast drei Jahre nach der Wende, bereits wieder angebracht ist, einer Zeitung dafür zu danken, wenn sie solche Bemühungen unterstützt. Dr.Ing. Christof Ehrler,

Dresden

[...] Da ich die „Widerstandskämpferin“ selber kennengelernt habe, bewundere ich den Mut der taz, neue Ansätze von Sippenhaft zu propagieren. Da es sich noch um eine Rubrik „Debatte“ handeln soll, fehlt mir noch der Kontrahent dazu. Ich hoffe nur, Stolpe wird sich nicht entblöden, darauf zu regieren. Jedenfalls stellt Frau Klier die DDR-Geschichte nicht auf die Füße, sondern popelt mehr in der eigenen Nase, um Intelligenz zu beweisen. Der Selbstauflösungsprozeß der progressiven Szene ist perfekt, es triumphieren die Konservativen und so weiter. Die Intellektuelle Spaltung nach dem Krieg hatte zwei deutsche Staaten zur Folge. Was werden die Folgen dieser Spaltung sein? [...] Stephen Diericks, Magdeburg

Manfred Stolpe muß zur Verantwortung gezogen werden! Er war es doch, der mit seiner Scheißtaktiererei verhindert hat, daß im Januar 1988 die revolutionäre Bewegung „Dicke Sau“ die eingekerkerten Freiheitskämpfer befreit und dem roten Terror ein Ende gesetzt hätte. Die Pastorenkinder, die den Wehrkundeunterricht geschwänzt hatten und trotzdem kein Abitur machen konnten, hätten bei dem Sturm auf die Bastille natürlich nicht mitgemacht. So waren die eben! Hans Holtmann Brandenburg

Ich glaube, ich weiß, was Freya Klier in ihrem Beitrag sagen will: Stolpe war Führungsoffizier von Honecker, möglicherweise schon von Ulbricht (sie schildert einen Fall, in dem Stolpe von „Ulbrichts Bütteln“ die Freilassung eines Pfarrers gefordert habe und „siehe da, die Büttel gehorchen!“). Aber ist das überzeugend? Kann das denn ohne Wissen (und damit ohne Anleitung) des KGB geschehen sein (sie führt aus, 1949 sei nicht die DDR gegründet, sondern ein deutscher Kominternsockel zementiert und fahnengeweiht“ worden).

Da müßte noch genauer recherchiert werden im Moskauer Archiv, dem zuverlässigen — seit Stalin.

Aber eines hab' ich nicht verstanden: Stolpe — so Klier — habe nur der Jurist werden können, der er war, wegen seines Vaters („wessen Kinder galten der SED-Führungsspitze als die tauglichsten Kader, ihre Macht juristisch zu stabilisieren?“), und seine Tochter (die Enkelin vom Alten) habe „noch vor der Wende ihr Volontariat für ein Jura-Studium absolviert“. Will sie jetzt sagen, die Familie sei die dominante (sozusagen überdeterminierende) Struktur der alten DDR-Gesellschaft gewesen oder die Juristen als die insgeheim herrschende Klasse (nach ihren Recherchen soll auch Oberst Wiegand Jurist gewesen sein)? Also: Juristensozialismus oder Familiensozialismus? Hier eine wissenschaftlich fundierte Antwort, könnte Fehlvorstellungen über das politisch-gesellschaftliche System der alten DDR vorbeugen.

Daneben wird aber auch noch eine dritte, die Wirklichkeit ordnende Struktur angesprochen, das Verhältnis Vater-Sohn: „Bei Lothar de Maizière ist bereits Vater Clemens dem MfS treu verbunden, bei Gregor Gysi muß nicht erst nachgeforscht werden. Bei Manfred Stolpe wurde eine Handakte des Vaters gefunden.“ Das scheint mir tiefenpsychologisch noch nicht ausreichend abgesichert: Ulbricht-Honecker, Honecker-Krenz, zwar geradezu klassisch, stürzt der nachdrängende Jüngere den Greis vom Stuhl, aber die waren ja nicht blutsverwandt. Oder hat sie da noch was im Köcher, die Freya Klier? Karlheinz Merkel,

Rechtsanwalt, West-Berlin

Ich hatte fast gedacht, eine im Kurzwort ähnliche Zeitung gekauft zu haben, wo mich die Beiträge von Frau Klier nicht überraschen. Da ich ein Anhänger des Meinungsjournalismus bin, ist es villeicht sogar gut, in beiden Zeitungen die gleichen Aussagen wiederzutreffen. Tja, wenn nicht in der taz nur wenige Tage zuvor (in der Umfrage vom Samstag) so ein alternativer Ansatz gepflegt worden wäre.

Also, was denn nun? Alternative Zeitung gegen die Wir-sind-wieder- wer-Fraktion geht kaum mit Beiträgen zusammen, in denen eindeutig zur Sippenhaft aufgerufen wird. Ober was haben die Töchter und Söhne von Gysi oder Stolpe mit „Stasi oder nicht?“ ihrer Väter zu tun?

Aber ich weiß schon, in Deutschland ist es fast so verpönt wie Diebstahl, die moralisch sauberen Mitglieder der Ex-DDR-Opposition auf rassistische Äußerungen aufmerksam zu machen. In der taz solches Zeug zu lesen, hat mich denn doch überrascht.

Noch etwas fiel mir beim Lesen dieses Beitrages auf: Was Frau Klier über Stolpe denkt, ist mir penetrant inzwischen beigebracht worden. Ob Frau Klier auch über die Ursachen und die Zukunft der Liberalisierung im Osten etwas zu sagen hat, weiß ich nicht. Woran das wohl liegt? Michael Hänel, Leipzig