Gefangen im eigenen Recht

■ Katrin Krabbe, Grit Breuer und Silke Möller reingewaschen/ IAAF-Schiedsgericht sah sich gezwungen, wider besseres Wissen den kuriosen Freispruch des DLV-Rechtsausschusses zu bestätigen

London (dpa) — Ausgerechnet Rüdiger Nickel zog die Konsequenz aus dem Freispruch von London für Katrin Krabbe, Grit Breuer und Silke Möller. „Sie sind keine Athletinnen zweiter Klasse geworden. Nach dem Urteil ist erwiesen, daß sie nicht manipuliert haben. Deshalb werden wir sie entsprechend ansehen und behandeln“, erklärte der Anti-Doping-Beauftragter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), der sich im Vorfeld der entscheidenden Verhandlung vor dem Schiedsgericht des Internationalen Leichtathletik- Verbandes (IAAF) so vehement für die Verurteilung der drei Sprinterinnen eingesetzt hatte.

150 Tage nach Aufdeckung der Doping-Affäre wurden die Athletinnen in letzter Instanz vom Verdacht der Manipulation freigesprochen. „Uns ist ein großer Stein vom Herzen gefallen“, freute sich Katrin Krabbe, nachdem sie am Sonntag abend um 20.51Uhr ihren völlig überraschenden Freispruch durch das Schiedsgerichts selbst verkündet hatte.

Offiziell stand auch der zur Verteidigung verpflichtete — davon aber nicht überzeugte — DLV in London auf der Gewinnerseite, faktisch jedoch war er der Verlierer. Das IAAF-Urteil bestätigte die Rechtmäßigkeit des umstrittenen Freispruchs der drei Athletinnen durch den Rechtsausschuß des DLV am 5.April in Darmstadt. „Der DLV hat den Fall nach seinen Regeln und deutschem Recht behandelt. Wir konnten nicht feststellen, daß seine Entscheidung Brüche der IAAF-Regeln beinhaltet“, erklärte IAAF- Richter Lauri Tarasti (Finnland) nach siebzehnstündiger Verhandlung und sechsstündiger Beratung mit seinen Kollegen Robert Ellicott (Australien) und Assane Bassirou Diouf (Senegal).

Das IAAF-Gremium begründete das Urteil zwar formal, wertete es aber keineswegs als Freispruch. „Wir haben sehr ernsthafte Vorbehalte gegen die Korrektheit der Entscheidung des DLV-Rechtsausschusses“, sagte Tarasti, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte: „Nach meiner persönlichen Meinung haben sie gedopt.“ Auch der frühere australische Innenminister Ellicott fühlte die Fesseln des IAAF-Rechts: „Wir alle hatten ernsthafte Bedenken. Ist das klar genug, oder nicht?“

Daß sich Katrin Krabbe und Co. mit Erfolg 27 Tage vor den Olympischen Spielen dennoch den Weg durch den Paragraphen-Dschungel bahnen konnten, verdanken sie vor allem Rechtsanwalt Reinhard Rauball. Die Strategie des smarten Ex- Präsidenten von Borussia Dortmund, die Sportgerichtsbarkeit mit ihren eigenen mangelhaften Waffen zu schlagen, ging voll auf. „Sie sind meiner Formel gefolgt. Ich habe es erwartet“, sagte der 45jährige Jurist. Trotz eines großen Aufmarsches von Zeugen konnte das IAAF-Schiedsgericht den Beweis nicht finden, „wer, wann und wo“ (Tarasti) die sich später als identisch erwiesenen Urin-Proben der Doping-Kontrolle am 24.Januar im südafrikanischen Stellenbosch manipuliert habe. „Es gibt weder eine logische noch eine abstrakt-logische oder praktische Lösung, daß ohne Mitwissen der Athletinnen manipuliert worden ist“, urteilte der Frankfurter Anwalt Günter Paul, der zusammen mit Rechtswart Norbert Laurens und Nickel die DLV-Delegation bildete.

„Einige werden uns glauben, andere nicht. Daß wird wie vorher sein“, meinte Katrin Krabbe. Für die 22jährige Doppel-Weltmeisterin aus Neubrandenburg waren die vergangenen Monaten seit Bekanntwerden der Doping-Affäre am 7.Februar „eine harte Zeit, die ich niemandem wünschen möchte“. Nach dem juristischen Hürdenlauf können die drei Athletinnen wieder auf der flachen Strecke losspurten. Der DLV jedenfalls hat ihnen durch eine Ausnahmeregel die Chance offengelassen, sich bis zum 10.Juli noch Staffel-Plätze für Barcelona zu erkämpfen. „Olympia ist das schönste, was ein Athlet erfahren kann. Ich habe Ansprüche, und ich will eine Medaille. Doch ich konnte nicht richtig trainieren“, sagte Katrin Krabbe zu Olympia.

Auch Trainer Thomas Springstein baute vor: „Nach dem Druck der ganzen Monate wird es äußerst schwierig sein, eine olympische Form nachzuweisen.“ In Absprache mit dem DLV genüge es wohl, wenn seine Sprinterinnen bis zum 10.Juli „eine Leistungsdiagnostik“ machen. Um die für Olympia erforderliche Staffel-Normzeit von 11,40 Sekunden über 100Meter zu zeigen, könnte am 17.Juli das Sportfest in Lindau das Forum sein. Harsche Kritik am Londoner Urteil äußerte Gwen Torrence (USA), die bei der WM in Tokio zweimal von Krabbe besiegt wurde: „Es ist mir egal, was die IAAF sagt. Für mich ist Katrin Krabbe schuldig. Ich weiß, daß sie keine saubere Athletin, daß sie gedopt ist. Wir werden es ihr in Barcelona zeigen.“ Andreas Schirmer