Chancen der Freiheit

■ Eine Festschrift für Iring Fetscher

Demokratietheoretische Fragestellungen waren immer wieder Thema der wissenschaftlichen Arbeit des renommierten Frankfurter Politikwissenschaftlers Iring Fetscher. Von daher verwundert es nicht, wenn sich in einer ihm zum 70. Geburtstag gewidmeten Festschrift Beiträge finden, die alle Theorien und Entwicklungsperspektiven der Demokratie zum Inhalt haben. Herausgegeben wurde der Die Chancen der Freiheit betitelte Band von Fetschers wohl bekanntestem „Schüler“ Herfried Münkler.

Die Festschrift versammelt dreizehn Aufsätze, die in drei Rubriken gegliedert sind. Zunächst geht es um „Grundfragen“: Jürgen Habermas plädiert für ein deliberatives Demokratieverständnis im Sinne seiner Diskurstheorie, die Wiederaufnahme klassischer Tugendvorstellungen in moderne Demokratietheorien fordert Herfried Münkler, Walter Euchner beschreibt die Herausbildung des Konzepts „Demokratischer Sozialismus“ in der deutschen Sozialdemokratie, die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Demokratie behauptet Ota Šik, Erhard Eppler tritt für mehr Demokratie bei ökologischen Reformen ein, und Helga Grebing plädiert für Demokratie statt Nation.

Die folgende Rubrik enthält Beiträge zu Demokratiekonzeptionen von politischen Theoretikern: Kurt Lenk sieht in Freiheit und Kompromißbildung die wichtigsten Bestandteile der Demokratietheorie Hans Kelsens, „fundamentaldemokratische“ Positionen bei T.G. Masaryk, dem langjährigen Präsidenten der ersten tschechoslowakischen Republik, werden von Zwi Batscha beschrieben, und Richard Saage analysiert aus demokratietheoretischer Sicht die Freiland-Utopie bei Theodor Herzl.

Und schließlich finden sich in dem Band Länder- und Regionenstudien: die Demokratisierung in der Sowjetunion ist Thema von Klaus von Beyme, Jean Ziegler skizziert die politische Situation der Schweiz, die Chancen der Demokratisierung im Nahen Osten lotet Bassam Tibi aus, und H.C.F. Mansilla analysiert anhand theoretischer Modelle die politische Gewalt im südamerikanischen Raum.

Die einzelnen Beiträge sind inhaltlich und methodisch so verschieden, daß sie nicht gemeinsam besprochen werden können. Man findet in dem Buch essayistische Betrachtungen (Ziegler) ebenso wie systematische Analysen (Münkler), Darstellungen von Theorien (Batscha) ebenso wie historische Beschreibungen (Euchner). Unterschiedlich ist auch das Niveau beziehungsweise die Bedeutung einzelner Beiträge, recht inhaltsarme (Eppler) und oberflächliche (Ziegler) wechseln sich mit interessanten perspektivischen Einschätzungen (Tibi) und demokratietheoretischen Innovationen (Münkler) ab.

Besondere Beachtung verdienen hier zwei Beiträge: Zum einen Herfried Münklers Plädoyer für die Wiederaufnahme des klassischen Tugenddiskurses in die Konzeption der Zivilgesellschaft. Dabei wird ebenso dessen Notwendigkeit wie die damit verbundene Problematik aufgezeigt. Allerdings bleibt die Analyse auf einer recht abstrakten Ebene stehen und fragt nicht nach Bedingungen und Folgen einer Renaissance der politischen Tugend als sozio-moralischer Grundlage von Demokratie.

Zum anderen sei auf Bassam Tibis skeptische Einschätzung der Chancen einer Demokratisierung im Nahen Osten hingewiesen. Die Voraussetzungen dafür, das Vorhandensein einer entsprechenden politischen Kultur und diesbezüglichen Institutionen, fehlten. Außerdem setze Demokratisierung die Verbesserungen der Lebensbedingungen der Menschen voraus, um sie so weniger empfänglich für den islamischen Fundamentalismus zu machen. Hier sind die führenden Industriestaaten gefordert, und hier wird sich auch ihr eigenes Demokratieverständnis zeigen.

Bedauerlich ist, daß das Demokratie- und Staatsverständnis der Bundesrepublik hinsichtlich der Frage „Nationalstaat“ oder „Republik“ (Dieter Oberndörfer) nur am Rande angegangen wird (Grebing). Ansonsten stellt die Festschrift einen recht interessanten Sammelband zu einzelnen Aspekten der Bestandsvoraussetzungen und Entwicklungsperspektiven der Demokratie dar und bietet ausreichenden Stoff für notwendige Diskussionen ganz unterschiedlicher demokratietheoretischer Fragestellungen. Armin Pfahl-Traughber

Herfried Münkler (Hrsg.): Die Chancen der Freiheit. Grundprobleme der Demokratie. München 1992, Piper, 263Seiten, 19,80DM.