Algiers Junta verliert ihre Trumpfkarte

■ Der Mann, der Algeriens politische Klasse nach den Wahlerfolgen der fundamentalistischen Islamischen Heilsfront (FIS) aus der Krise helfen sollte, ist am Montag in der ostalgerischen Stadt Annaba...

Algiers Junta verliert ihre Trumpfkarte Der Mann, der Algeriens politische Klasse nach den Wahlerfolgen der fundamentalistischen Islamischen Heilsfront (FIS) aus der Krise helfen sollte, ist am Montag in der ostalgerischen Stadt Annaba einem Attentat zum Opfer gefallen. Über die Täter wurde bislang nichts bekannt. Ein Ausweg aus der Krise ist nach dieser Zuspitzung noch schwieriger geworden.

Zwei Tage nach dem Auftakt des Prozesses gegen die Führung der algerischen Islamisten ist Präsident Mohammed Boudiaf am Montag bei einem Anschlag getötet worden. Ein mutmaßlicher Täter wurde nach Angaben der algerischen Nachrichtenagentur unmittelbar nach dem Attentat erschossen. Der 72jährige Boudiaf, der sich nach dem internen Staatsstreich des Militärs im Januar nach jahrelangem Exil zur Übernahme des Präsidentenamtes bereiterklärt hatte, hielt sich zum Wochenbeginn in der ostalgerischen Stadt Annaba auf, wo er am Montag mittag im Kulturzentrum eine Rede halten wollte. In einer ersten Erklärung des regierenden Staatsrates, die gestern nachmittag im Rundfunk verbreitet wurde, hieß es, Boudiaf sei um 11.30 Ortszeit (12.30 MSZ) durch einen „kriminellen Akt“ während seiner Rede getötet worden.

Wie Augenzeugen berichteten, wurden auf Boudiaf zwei Gewehrsalven abgefeuert. Er sei unmittelbar nach seiner Ankunft vor dem Gebäudes des Kulturvereins in den Rücken getroffen worden. Ersten unbestätigten Informationen zufolge soll es insgesamt ein Dutzend Opfer gegeben haben. Bewohner der Stadt berichteten, sie hätten eine heftige Schießerei gehört. Zahlreiche Krankenwagen rasten mit Blaulicht durch die Straßen, über der Stadt kreisten Hubschrauber. Die Polizei sperrte die gesamte Stadt ab und durchkämmte die Straßen. Die Bevölkerung zog sich in die Häuser zurück. Die Straßen waren teilweise menschenleer.

Zuvor hatte die algerische Nachrichtenagentur APS gemeldet, vor dem Kulturzentrum seien in der Zeit des geplanten Auftritts von Boudiaf Schüsse gefallen. Es sei nicht bekannt, ob es bei der Schießerei Tote und Verletzte gegeben habe. Es herrsche eine „totale Verwirrung“.

Nach Bekanntwerden des Attentats ordnete der regierende Hohe Staatsrat eine siebentägige Staatstrauer an. Rundfunk und Fernsehen unterbrachen umgehend ihr normales Programm und sendeten Koranverse und klassische Musik. Das algerische Fernsehen berichtete, Staatsrat und Sicherheitsrat seien anläßlich des Attentats zu einer Krisensitzung zusammengetreten.

Über die Hintergründe des Attentates kann vorerst nur spekuliert werden. Im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen die Führung der Islamischen Heilsfront (FIS ) waren in den Armenvierteln von Algier Flugblätter aufgetaucht, die den Richtern den Tod androhten. Auch ist es dort wie auch in anderen Städten in den letzten Wochen fast täglich zu Anschlägen gegen Polizisten und Soldaten gekommen. Seit dem Militärputsch im Januar wurden insgesamt über 70 „Sicherheitskräfte“ bei derartigen Aktionen getötet.

In den letzten Monaten hatte auch die radikale Gruppe der sogenannten „Afghanen“, die aus ehemaligen islamistischen Freiwilligen im afghanischen Bürgerkrieg hervorgegangen ist, immer wieder mit Anschlägen von sich reden gemacht. Mehrere Mitglieder der Gruppe waren festgenommen und zu Tode verurteilt worden. Ob es in den Reihen der Herrschenden zu schweren Differenzen zwischen Boudiaf, dem Militär und dem Geheimdienst gekommen ist, gehört momentan ebenfalls in den Bereich der Spekulation. Selbst wenn der zu Tode gekommene Attentäter, wie es gestern hieß, eine Uniform der Sondereinheiten zur Aufstandsbekämpfung trug, ist damit keineswegs geklärt, ob er dieser Einheit wirklich angehörte.

Wer auch immer die Attentäter vom Montag waren, die Schüsse in Annaba zielten auf das politische Aushängeschild der Junta und nicht auf die eigentlichen Drahtzieher des Militärputsches, der die Islamisten um ihren sicheren Sieg bei den Parlamentswahlen betrogen hat. Doch in der Politik spielen Symbole häufig eine große Rolle. b.s.