Ich bin eben ein Sprachgenie!

■ Marron Curtis Fort aus Boston, Mass., erforscht und spricht fließend mehrere plattdüütsche Dialekte

„Der schwarze Ostfriese“ - so betitelte Merian 1988 einen Text über Marron Curtis Fort. Der amerikanische Erforscher der niederdeutschen Mundarten sieht aus wie Harry Belafonte, „karibisch“, wie er sagt. Wir besuchen ihn in seinem Büro in der Oldenburger Uni-Bibliothek. Etwas müde sieht er aus, redet aus Versehen den ersten Satz in Holländisch („Ich hatte gerade eine Unterhaltung mit einem Holländer!“), findet aber sofort zurück ins Hochdeutsche („'tschuldigung“) und durchwirkt seine Reden gekonnt mit plattdeutschen Halbsätzen.

„Ich bin ein Sprachgenie!“ ruft er lachend und haut sich auf den Schenkel. So einfach ist die Antwort auf die Frage, wie denn ein Amerikaner dazu kommt, akzentfreies Ostfriesenplatt zu sprechen: „Besser als mancher Einheimische.“ Und besser als andere Sprachforscher: „Die zitieren ja nur.“

Der ehemalige Professor der Germanistik, geboren in Boston, wohnt mit seiner Familie seit 1983 in Leer, Ostfriesland. Regelmäßig hält er in der Gegend vor Landfrauenvereinen oder Heimatvereinen plattdeutsche Vorträge und verfaßt plattdeutsche Andachten für Kirchenblättchen.

Überall ist der 54jährige Fort bekannt. Bewaffnet mit einem tragbaren Computer besucht er Einheimische, die ihm bereitwillig bei Tee und Doornkaat ihre Erlebnisse erzählen. Die tippt er so rasend schnell in sein Gerät, daß ein Tonband sich erübrigt. Ergebnis sind zahlreiche Wörterbücher und Erzähl-Bände wahlweise im Süd-Oldenburgischen, im Schleswig-Holsteiner oder im saterfriesischen Platt.

Mit dem Saterfriesischen hat es eine besondere Bewandtnis: Fort hatte seine Doktorarbeit in Philadelphia über die „Vechtaer Mundart“ verfaßt - die er natürlich vor Ort erforscht hatte. Das kam den Saterländern im benachbarten Landkreis Cloppenburg zu Ohren, die sich Sorgen über ihre aussterbende Sprache machten: Von den zehntausend Saterfriesen, so schrieb ein saterfriesischer Gärtner an Fort, sprächen

Er verfaßt sogar regelmäßig plattdeutsche Andachten für Kirchenblättchen. Den „schwarzen Ostfriesen“ nannte ihn 'Merian'

nur noch rund 1.700 die alte Sprache.

Fort kam also zum x-ten mal über den großen Teich - und blieb.

Die Saterländer hatten's ihm angetan. Sie sprechen wahrhaftig ein völlig anderes Platt als die Nachbardörfer. Die drei Dörfer Ramsloh, Scharrel und Stücklingen waren jahrhundertelang von unüberwindbaren Mooren umgeben. In die umliegenden Ortschaften ruderte man auf Booten über schmale Kanäle. Ein Landweg existierte nur im Winter, wenn der Sumpf gefroren war. Eine Straße wurde erst zwischen den Weltkriegen gebaut. So erhielt sich nicht nur eine einzigartige Sprachinsel im Saterländischen. Auch die Reformation ging an den drei Dörfern vorbei, weswegen die Saterländer katholisch blieben.

Fort glaubt allerdings nicht daran, daß das Saterfriesische als gesprochene Sprache weiter erhalten werden kann. Man müsse sich wohl in diesem wie in anderen Fällen darauf beschränken, der friesischen und niederdeutschen Sprache „Denkmäler zu errichten“.

Marron C. Fort ist deutscher Staatsangehöriger und Beamter im Staatsdienst: Er leitet ein Fachreferat für Sprachwissenschaft an der Universität Oldenburg. Zur Zeit verfaßt er die zweite Auflage des saterfriesischen Wörterbuches. Wörter, die in den Erzählungen der Einheimischen nicht vorkommen, leitet er aus einer Mischung von Niederländisch und Englisch ab und läßt sie sich von sprachkundigen Einheimischen bestätigen. Forts Theorie ist, daß die Saterfriesen einst aus Groningen kamen.

Fort, der einst Germanistik, Skaninavistik und „angewandte Mathematik“ studierte, bezeichnet sich selbst als fanatischen Forscher. Was aber keineswegs heißt, daß er deshalb auf seine norddeutschen Mundarten festgelegt wäre: „Auch Schwyzerdüütsch hat mich immer sehr interessiert“, bekennt das Sprachgenie.

Im übrigen fühlt Fort sich in seiner ostfriesischen Wahlheimat Leer nicht nur sprachlich beheimatet. „In Massachusetts“, so Fort, „ist die Landschaft genau so platt, und es regnet noch mehr als hier.“ Beate Ramm