Luftbrücke nach Sarajevo erneut in Gefahr

■ Nach der Beschießung von UNO-Soldaten auf dem Flughafen von Bosniens Hauptstadt wurden die Hilfslieferungen vorübergehend unterbrochen/ USA bieten Luft- und Seeschutz für Hilfsflüge an/ Sechs Schiffe der 6. US-Flotte im adriatischen Meer

Sarajevo (ap/dpa/taz) — Eine militärische Intervention in Bosnien- Herzegowina scheint immer näher zu rücken. Diese Folgerung legen die Entwicklungen des gestrigen Tages nahe: Kurz nachdem die Luftbrücke für das belagerte Sarajevo eingerichtet worden war, kam es in der Nacht zum Mittwoch wieder zu heftigen Kämpfen. Der Oberkommandierende der UNO-Truppen in der Stadt, Generalmajor Lewis MacKenzie ordnete daraufhin an, den Flughafen erneut zu schließen. Flugzeuge, die trotzdem landeten, taten dies, so die offizielle Auskunft, auf eigenes Risiko hin. Bei Schießereien auf dem Flugfeld waren vier UNO- Soldaten leicht verwundet worden. MacKenzie zufolge wurden sie in einem gepanzerten Fahrzeug von einem Geschoß aus Richtung des von Serben eingeschlossenen Ortsteils Dobrinja getroffen. Fahrzeug- und Geschoßsplitter hätten die Verletzungen verursacht. Eine höchst explosive Situation. Es wäre durchaus denkbar, daß eine solche Provokation zum Anlaß genommen wird, um militärisch einzugreifen.

Kinkel fordert Landkorridor von Hafenstadt Split aus

Darüber wurde bereits in den USA und Deutschland spekuliert. Im Anschluß an Gespräche mit Präsident Bush, Außenminister Baker und Verteidigungsminister Richard Cheney sagte der Bonner Außenminister Kinkel gestern, alle Gesprächspartner seien sich darüber einig gewesen, daß „der Einsatz militärischer Mittel zur Sicherung humanitärer Transporte ins Auge gefaßt werden müsse.“ Wobei Kinkel allerdings betonte, die Deutschen könnten sich „aus historischen Gründen“ nicht daran beteiligen. Allerdings, so erklärte der Bundesaußenminister, reiche die Öffnung des Flughafens von Sarajevo ohnehin nicht aus, um die 300.000 Einwohner mit Versorgungsgütern auszurüsten.

Vielmehr sei die Öffnung eines Landkorridors von der kroatischen Hafenstadt Split aus notwendig. Die USA haben bereits erste Schritte unternommen. Während der Oberkommandierende der UNO Truppen seinen Protest beim bosnischen Staatspräsidium wegen der Beschießung von UNO-Soldaten einreichte, kreuzen in der Adria bereits sechs Schiffe der 6. US-Flotte mit 2.200 Marineinfantreristen. Den Aufenthalt der Schiffe im adriatischen Meer nannte Pentagon-Sprecher Williams eine logische Folge der Ereignisse.

Unterdessen haben serbische Einheiten östlich von Sarajevo die 1200 kanadischen UNO-Blauhelme gestoppt, die den Flughafen der bosnischen Hauptstadt, als Verstärkung der UNO Friedenstruppen, sichern sollen. Eigentlich sollte bereits gestern mit der Verteilung der dringend benötigten Lebensmittel begonnen werden, die von französischen Militärflugzeugen geliefert worden waren. Die 30 Tonnen Versorgungsgüter enthalten eiserne Rationen der französischen Streitkräfte und Blutplasma für die von Serben seit drei Monaten eingeschlossenen 300.000 Bewohner Sarajevos. Die Güter wurden am Dienstag unter Panzerschutz in die Stadt gefahren.

Demonstrationen in Belgrad flauen ab

Der EG-Friedensvermittler für Jugoslawien, Lord Carrington, fliegt am Freitag zu einer neuen Friedensmission in die bosnische Hauptstadt Sarajevo. Wie sein Londoner Büro am Mittwoch erklärte, will er die festgefahrenen Gespräche zwischen den verfeindeten Parteien wieder in Gang bringen.

Unterdessen schmolz die Zahl der Demonstranten gegen die serbische Führung in Belgrad in der Nacht zum Mittwoch auf einige hundert zusammen. Auch am vierten Tage forderten die Demonstranten den Rücktritt des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der für den Krieg in Bosnien-Herzegowina und die internationale Isolierung Serbiens verantwortlich gemacht wird. Am Dienstag abend waren rund 10.000 protestierende Studenten durch die Straßen Belgrads gezogen.