Der Teufelskreis drückt auf die Moral

■ Für einen Ökobetrieb in Brandenburg wird die Lage durch Ernteausfall und Geldnot immer trostloser

Walter Prochnows letzter Trost sind die Kühe. Sie stehen träge im Schatten auf der einzigen Wiese der Okö- Agrar-GmbH Jahnsfelde, die noch die Farbe Grün trägt. Wasser zum Saufen fließt aus einem Tankwagen. Jede Kuh hat ein Kalb, manche sogar zwei — ein überdurchschnittlicher Vermehrungserfolg.

Das kann man von der Wintergerste nicht sagen, die 300 Meter weiter geerntet wird, zwei Wochen vor der Zeit. Dürre, zu kurze Hälmchen mit mickrigen Ähren biegen sich vor dem Mähwerk des „Fortschritt 512“. Seit Mai fielen genau sieben Milliliter Regen, die Körner, die der Mähdrescher auf einen Anhänger spuckt, sind verschrumpelt und flach. Es sind nur halb so viele, wie dieses Feld erbringen müßte. Das Verkaufen lohnt nicht. Prochnow, Geschäftsführer der Agrar-GmbH, wird die Gerste im Winter — oder schon nächste Woche — in den eigenen Ställen verfüttern lassen. Denn die zweite Rinderherde des Betriebs, der seit der Wende alle Flächen des gut 50 Kilometer östlich von Berlin gelegenen Dorfes Jahnsfelde biologisch bewirtschaftet, muß jetzt von den verdorrten Weiden in den Stall geholt werden.

Auch wenn es morgen anfinge zu regnen, änderte das nichts. Denn es dauert drei Wochen, bis auf den Weiden, auf denen sich nur noch gelbbraune Halme in den Sand drücken, wieder Gras wächst, das diesen Namen verdient. „Wir gehen an unsere Vorräte“, sagt Prochnow, „und das geht an unsere Existenz.“ Der Teufelskreis der Trockenheit drückt auf die Moral: Die Hälfte der Getreideernte und vermutlich auch der Kartoffelernte wird ausfallen und damit auch die Hälfte der Einnahmen. Schon vor dem Winter muß man an die mageren Vorräte ran. Gleichzeitig werden für das Kümmerkorn um bis zu acht Mark niedrigere Preise pro Doppelzentner gezahlt als für gutgewachsenes Getreide. Das verschlimmert die Geldnot; in Jahnsfelde reichen die Erlöse dieses Sommers nicht, um Kraftfutter zuzukaufen, für Saatgut und für die Löhne der 14 Beschäftigten: „Die Lage ist trostlos.“

Zuschüsse kommen Ende des Jahres — zu spät

Walter Prochnow versucht, vom Landwirtschaftsministerium in Potsdam Liquiditätshilfen zu bekommen. Der Betrieb braucht sofort Geld. Dann könnten auf den zu früh abgeernteten Getreidefeldern noch Zwischenfrüchte wie Luzerne oder Klee angebaut werden — einmal, um der Futterknappheit zu begegenen, zum anderen, um den Boden wieder zu verbessern. Denn Klee und Luzerne aus der Frühjahrsaussaat sind längst vertrocknet. Zuschüsse, die Jahnsfelde als biologisch wirtschaftender Umstellungsbetrieb aus dem Extensivierungsprogramm der EG beantragt hat (ein Programm, das Biohöfe bezuschußt, damit sie die ersten Jahre mit dem zwangslaufigen Ertragsrückgang überstehen), kommen erst Ende des Jahres und damit zu spät.

Zwei Jahre haben die JahnsfelderInnen auf ihren 750 Hektar Land „wie die Verrückten“ gearbeitet, um aus ihrer „LPG Pflanze“ einen Ökobetrieb zu machen. 27 Leute wurden entlassen. Die, die weitermachen konnten, produzieren nicht mehr nur Getreide und Futter, sondern auch Gemüse und Fleisch. Sie haben Obstbäume gepflanzt, die sie jetzt gießen müssen, „als wenn wir“, so Prochnow, „keine anderen Sorgen hätten“. Sie legen Hecken an und verkleinern die Äcker, pflanzen Bäume an Wegrändern. Jahnsfelde, in dem es keinen mit Chemie und Kunstdünger wirtschaftenden Betrieb gibt, hätte alle Chancen, ein Ökodorf zu werden — mit als Absatzmarkt Deutschlands Hauptstadt vor der Tür. Bisher haben sich die Mühen gelohnt: „Wir könnten wirklich überleben“, sagt Prochnow. Doch noch hat er keine Zusage aus dem Landwirtschaftsministerium, obwohl Brandenburgs Regierung Ökobetriebe besonders fördern will.

Also hofft man weiter in Jahnsfelde. Und Walter Prochnow düst weiter mit seinem Trabi über Sandwege und Sahel-Weiden, um zusammenzuhalten, was sich in Staub aufzulösen droht — selbst eine beeindruckende Staubwolke hinter sich herziehend und stets mit einem bangen „Aber regnen müßte es...“ auf den Lippen. Bettina Markmeyer, Jahnsfelde