Im Zickzackflug nach Sarajevo

■ 110 Tonnen Hilfsmittel eingetroffen/ Lord Carringtons Friedensbemühungen gescheitert / Sarajevo weiter unter Beschuß/ Blauhelme wurden von Splitter getroffen/ Major gegen EG-Intervention

Sarajevo (ap/taz) — Er glich am Wochenende einem wildgewordenen Ameisenhaufen — der Flughafen von Sarajevo. Während die Stadt weiterhin unter Beschuß stand, hetzten Hilfskräfte, Gabelstaplerfahrer und Reporter zwischen Transportmaschinen und ausgebrannten Autos hin und her. Allein am Samstag mußten unter Lebensgefahr 110 Tonnen Lebensmittel für die hungernde Bevölkerung in Sicherheit gebracht werden. Bei konsequentem Einsatz, so Koordinator Levinsens, könnten täglich sogar 200 Tonnen über die Luftbrücke in die eingeschlossene Stadt gelangen.

Doch das scheint mehr als fraglich, ist doch ein Ende der Kämpfe bisher nicht abzusehen. Auch in der Nacht zum Sonntag starben bei Artillerieeinsätzen auf die Stadt wieder fünf Menschen, 17 wurden verwundet. Der kanadische General MacKenzie, Kommandeur der UNO- Truppe in Bosniens Hauptstadt, hält die jüngste Entwicklung für „sehr beunruhigend“. Verstöße gegen die Vereinbarungen, die Anfang der Woche die Öffnung des Flughafens ermöglichten, seien so häufig, daß jederzeit eine Schließung drohe. Bereits gestern flogen die Transportflugzeuge, inzwischen auch aus der Bundesrepublik, im Zickzackkurs nach Sarajevo. Die Landung gleicht unter den derzeitigen Bedingungen gar einem Sturzflug: Meist müssen die Piloten aus großer Höhe senkrecht „irgendwie“ auf die Landebahn gelangen. So konnte eine britische Maschine nur knapp dem Abschuß entgehen. Sie landete genau zwei Minuten, nachdem eine Rakete knapp 100 Meter von einem Hangar entfernt in ein Haus einschlug.

Auch die Verteilung der Hilfsgüter ist nicht ungefährlich. Zwar versucht das kanadische UNO-Kontingent weiterhin, mit Panzerwagen den Flughafen abzuschirmen und die Transportroute in die Stadt zu sichern. Doch immer wieder geraten Helfer und UNO-Soldaten in das Feuer von Scharfschützen. Mehrere Blauhelme wurden von Splittern getroffen.

Eine Verbesserung der Situation erhoffen sich die Helfer nur noch von dem indischen General Satish Nambiar. Der Kommandeur aller UNO- Truppen im ehemaligen Jugoslawien wollte gestern mit Verhandlungen beginnen, um eine Einstellung der Kämpfe zu erreichen. Zuvor hatte der EG-Unterhändlers Lord Carrington unverrichteter Dinge abreisen müssen. Seine Bemühungen um eine Beendigung des Blutvergießens in Bosnien-Herzegowina blieben ohne greifbares Ergebnis.

Trotz allem hat sich der britische Premierminister John Major gegen eine militärische Intervention der EG-Staaten im ehemaligen Jugoslawien gewandt. Die dort kämpfenden Parteien gewaltsam zu trennen, würde, so Major, „eine ähnliche Situation wie in Beirut“ schaffen.

Gegen den serbischen Präsidenten Milosevic demonstrierten in der Nacht zum Sonntag erneut 100.000 Menschen vor dem Belgrader Parlament. Das Gebäude war in dieser siebten Belgrader Protestnacht von Sondereinheiten der Polizei abgeriegelt. Auf dem Dach waren Scharfschützen postiert. bz