Ein Videomuseum des Tanzes

■ Seit zwei Jahren bundesweit einmalig: das „Deutsche Tanzfilm-Institut“ in Bremen

Sie tanzen sich die Seele aus dem Leib. Dann Applaus, vielleicht Pfiffe, dann Vorhang. Wie sie waren, die TänzerInnen, wie die Produktion ausgestattet und gestaltet und choreographiert war, das bleibt dem unzuverlässigen Gedächtnis der ZuschauerInnen anvertraut und so unzulänglichen Mitteln wie Zeitungsartikeln, Bühnenplänen, Fotos, Kostümlisten. Das Wichtigste geht verloren, und eine künstlerische Tradition kann nirgends abgelesen und deshalb auch nur so schwierig aufgebaut werden.

Wie hat Mary Wigman in den 20ern getanzt? Warum war Kresniks „Ulrike Meinhof“ so sensationell? Welches Zeichen-Repertoire hat Pina Bausch mit ihrer Wuppertaler Compagnie entwickelt? Mit viel Glück kommen Produktionen etablierter Ensembles mal für ein paar Sendeminuten in die Fernseh-Magazine.

Seit 2 Jahren gibt es aber jetzt in Bremen das Deutsche Tanzfilminstitut, einmalig in der Republik, in ein paar Zimmern der Uni untergebracht, schlecht ausgestattet, aber höchst ambitioniert und sehr wahrgenommen. Zwei Frauen haben es in glücklicher Ergänzung von verschiedenen Seiten her aufgebaut: Heide-Marie Härtel, in der Hübner-Ära selbst Tänzerin unter Kresnik, seit 20 Jahren Tanztheater-Filmerin. Und Dr. Susanne Schlicher, Theaterwissenschaftlerin, bekannt durch ihr Standardwerk „Tanztheater“.

Bei bundesweit interessanten Tanztheater-Produktionen sind die beiden mit professioneller Ausrüstung dabei und bannen die flüchtige Kunst auf Cassette, schneiden das Ganze schließlich zu einer Aufführungs-Dokumentation zusammen. Daß beide seit langen Jahren mit dem Theater vertraut sind, ist ein unschlagbarer Vorteil. Nach Choreographie- Plänen und Proben-Besuchen entwickeln sie ein Drehkonzept: Wann muß die Kamera das Auge des Tänzers filmen? Wann kommt die Totale? Wann ist eine Nebenhandlung wichtiger als das Solo der Tänzerin vorn? „Wir wollen dokumentieren, wir sind dem choreografischen Werk verpflichtet“, stellt Härtel klar. Aber: „Auch Dokumentation trägt die Handschrift der Filmerin“, ergänzt Susanne Schlicher: „Welches Tanzmaterial erzwingt welche Form? Wann müssen wir schnell abwickeln, schnelle Schnitte machen?“

Zweites Standbein des Instituts: Filmporträts über wichtige Tanz-PädagogInnen, die das Fach in Deutschland weiterentwickelt haben. Für das erste Vorhaben warten jetzt 65 Videos auf Bearbeitung und Schnitt. Drittens: Auftrags-Videos für Tanzgruppen und Ensembles. Solche Filme entscheiden inzwischen längst über Zulassung für wichtige Wettbewerbe und erst recht über Gastspiel-Engagements. Viertens: Auftritte. Im Ausland hat das Deutsche Tanztheater einen herausragenden Ruf. Goethe- Institute und Universitäten buchen in Bremen Vorträge und Video-Vorführungen, bestellen oft spezielle Themen wie „Der Solo-Tanz in Deutschland im 20. Jahrhundert“.

Susanne Schlicher reist dann mit Archiv-Material des Instituts nach Kanada, Leipzig, Wien oder Turin, hält Vorträge und vernetzt das Bremer Institut so in der inter

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Wimmel-Grafik

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drauf

nationalen Szene, die in vielen Ländern längst weiter ist mit ihren Tanz-Archiven: In der dance collection der Lincoln Library liegen z.B. mehr filmische Dokumente über den deutschen Tanz als hierzulande.

Die beiden optischen Künste Tanz und Film haben längst be- gonnen, aufeinander einzuwirken: der Tanz übernimmt oft die Geschwindigkeiten, Handlungs- und Bewegungsfolgen des Films, und der Film arbeitet mit tänzerischen Simulationen und Suggestionen des Tanzes. Ein Lieblingsprojekt der beiden Instituts-Frauen wartet noch auf Verwirklichung: die Erforschung der Körpersprache, der Ausdrucksmittel in Disco-Beat oder Spitzentanz, als Dokument historisch-kultureller Ausformung.

Der Name „Institut“ klingt zwar prima, täuscht aber über die klägliche Ausstattung hinweg. Außer 120.000 Mark Startkapital für einen kleinen Teil der teuren Geräte gab es keine Zuschüsse. Die ABM-Stelle der Tanzfilmerin und Initiatorin Heidi Härtel läuft Ende Juli aus. Anfang gemacht, Ende offen. S.P.