: Auffällig unauffällig
Die Ausstellung „Tarnung“ im Basler Museum für Gestaltung ■ Von Martin Halter
Kunst will gemeinhin etwas Unsichtbares sichtbar machen; ihre bevorzugte Präsentationsform ist deshalb auch die Aus- oder Schaustellung in Museen oder auf Bühnen. Tarnung, also die Kunst, Sichtbares unsichtbar zu machen, ist so ziemlich das Gegenteil. Eine Ausstellung, die zeigen will, wie „das Sichtbare ersichtlich und übersehbar aus unserem Gesichtskreis verschwindet“, scheint demnach ein Widerspruch in sich selbst zu sein. Er läßt sich nur aufheben, indem man ihn nachvollziehend ausstellt — einmal an sich, als entlarvte Verhüllung und dekonstruierte „Konstruktion des Unsichtbaren“, und einmal für sich, als Schatzsucherspiel für alle Besucher.
Solche Art vertrackter und verspielter Dialektik ist eine Spezialität des Basler „Museums für Gestaltung“, das sich im Rahmen seines Jahresthemas Sehen schon wiederholt auf pfiffige Weise der optischen Täuschungen menschlicher Wahrnehmung angenommen hat. Aber diesmal haben die Basler das inszenierte Verschwinden der Wirklichkeit doch ein wenig zu wörtlich genommen. Daß die Ausstellung sich bei der Eröffnung noch als halbfertige Baustelle präsentierte, daß der Katalog wieder einmal erst nach ihrem Ende erscheint, daß die Objekte schließlich wie schon bei den Sprechenden Gegenständen meist ohne jede Legende für sich sprechen müssen: all das mag als eigenwillige Tarnungstechnik ja noch hingehen. Es gehört offenbar nun einmal zum spartanischen Konzept des Museums für Gestaltung, lieber mit ein paar schnell zusammengezimmerten Sperrholzattrappen „Denkanstöße“ zu vermitteln als opulente und wohlkommentierte Materialsammlungen zur Schau zu stellen.
Aber daß das weite Feld der Tarnung, das sich von Undercover- Agenten und Schmetterlingen bis zur menschlichen Unterwäsche, von der (neueren) Werbung bis zur Kunstgeschichte erstreckt, fast gänzlich auf seine militärische Dimension reduziert wird: das enttäuscht denn doch bei einem Museum, das sich erklärtermaßen der Alltagskultur verschrieben hat. Man sieht also hin und wieder etwas, aber meistens nichts. Unübersehbar ist etwa jene italienische Panzerattrappe Marke „Chieftain“, wie sie die Iraker im Golfkrieg zur Täuschung der amerikanischen Radar- und Satellitenortungsgeräte einsetzten. Wärmesichtgerät („Thermal Imager“) und Restlichtverstärker und wie die Nachtsehhilfen der Schweizer Armee alle heißen mögen, sind dagegen in einer Dunkelkammer gut versteckt. Eine Dechiffriertafel fährt einsam über Buchstabenfelder; von irgendwoher im Raum hört man das nervtötende Geräusch aufspringender Basketbälle. Hinter aufgemalten Jalousien soll ein unsichtbares Gesicht zu sehen sein: Schau'n mer mal. In einem Vivarium machen sich ein halbes Dutzend Stabheuschrecken als vertrocknete Ästchen unsichtbar; dies ist der einzige Beleg für das ungeheuer reiche Spiel der Natur mit Tarnung.
Sich ins rechte Licht zu rücken, ist eine Überlebensstrategie. Was sich tarnt, sei es durch Mimese (Nachahmung von anderen Tieren oder Pflanzen) oder durch Mimikry (Nachahmung von gefährlichen, ekelhaften oder ungenießbaren Arten), hat natürlich nicht nur im darwinistischen „struggle for life“ allen Grund dazu. Gemeinhin steht der Mensch in seiner Eitelkeit ja lieber auf der Bühne als in den Kulissen, ununterscheidbar von seiner Umgebung wie Woody Allens Zelig. Wo er sich die Tarnkappe aufsetzt oder optisch in die Büsche schlägt, tut er es entweder, um sich gegen den Angriff eines Stärkeren zu wappnen oder um den Gegner (oder Nebenbuhler) über sein wahres Wesen und seine Attribute im Dunkeln zu lassen. Wenn die Natur die Mutter der Tarnung ist, so ist daher der Krieg ihr Vater. Und manchmal gibt es auch verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Kunst und militärischen Tarnmustern. Am originellsten war dabei vielleicht das „dazzle painting“, die Bemalung von Rumpf und Aufbauten mit abstrakten geometrischen Mustern, mit der englische Handelsschiffe im Ersten Weltkrieg die deutschen U-Boote narrten. Die ebenso einfache wie wirkungsvolle Erfindung des Malers Norman Wilkonson, mit der die britischen Schiffe ihre Verfolger über ihre Zahl und Funktion, Entfernung und Geschwindigkeit zu täuschen versuchten, beruht auf der Einsicht, daß auf hoher See „aktive“ Blendung effektiver sein könne als „passive“ Anpassung an die Umgebung. Auffällig unauffällig lavierten sich die Konvois nach zeitgenössischen Beobachtungen wie „schwimmende Kunstgalerien“ durch den unbegrenzten U-Boot-Krieg.
In Zeiten der unbegrenzten Reklamefeldzüge und des informatorischen Overkills lernt die Werbeindustrie heute wieder die obskure Kunst, nicht mehr durch blendende Versprechen, sondern durch Verschweigen und Verbergen auf das Produkt aufmerksam zu machen: Das „dick auftragen“ vollzieht sich heute subtiler als „dünnemachen“. Im Gewimmel des Sichtbaren durch Unauffälligkeit auffallen: Ähnliche Verpuppungstechniken hat der Prozeß der Zivilisation auch auf den Gebieten von Mode, Motorisierung und Möbeldesign hervorgebracht. Zier- und Sichtblenden, Hüllen und versenkbare Scheinwerfer absorbieren Gewalt, Lärm und Aufdringlichkeit der Waren; sie verraten nichts mehr von der Funktion des Gegenstands. Videokassetten tarnen sich im Gelsenkirchner High-Tech-Barock als Buchumschläge, Banken verstecken sich hinter den potemkinschen Fassaden von Chalets oder Villen. Der Lifestyle kennt das Phänomen des „Cocooning“: mehr sein als scheinen. Der taktische Entzug von Bildern ist selber ein Bild.
Aber wenn in der Basler Ausstellung etwas von all diesen neuen „Perspektiven und Aspekten bei der Gestaltung des Unsichtbaren“ zu sehen sein sollte, so ist es jedenfalls gut getarnt. Dafür darf sich der Besucher auf Schatzsuche nach den verborgenen Dimensionen des Ausstellungsthemas begeben. Wer seinen Namen preisgegeben und ein gültiges Passwort in einen Computer eingegeben hat, den Schatzplan, der wie eine Stecknadel im Heuhaufen vergraben ist, aus einem Sandhügel ausgebuddelt hat, kann mit viel Geduld und Denksportsgeist das Lösungswort ermitteln. Dem enttarnten glücklichen Enttarner — einer hat sich bisher erst gemeldet — winkt ein von der Sponsor-Bank gestifteter, zehn Gramm schwerer Goldklumpen; auf den weniger Glücklichen wartet ein als Goldbarren getarnter Schokoriegel.
Tarnung. Ungeschehen, ungesehen. Museum für Gestaltung, Basel, bis 26.Juli.
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