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KOMMENTAREEine Performance der bayerischen Art

■ Das Bullen-Ballett in München beeindruckt auch die Weltpresse

Sie kesselten mehrere hundert Demonstrantinnen und Demonstranten ein, zogen sie an den Haaren, schlugen ihnen mit Knüppeln auf die Köpfe, würgten sie ein wenig, traten ein bißchen auf ihnen herum, pferchten sie in zu engen Zellen zusammen und hielten sie bis zu zehn Stunden fest. Seit gestern hat diese ebenso schlichte wie wirkungsvolle Taktik einen einprägsamen Namen, Max Streibl sei's gedankt. Der Ministerpräsident des Freistaats Bayern erklärte allen Ahnungslosen: „Wenn einer glaubt, er muß sich mit Bayerns Polizei anlegen, muß er wissen, daß hartes Hinlangen bayerische Art ist.“ Einziger Schönheitsfehler bei dieser lebensnahen Einschätzung: Das Münchner Amtsgericht stellte fest, daß diese „bayerische Art“ eindeutig rechtswidrig ist. Die Freiheitsentziehung der arretierten Demonstrantinnen und Demonstranten sei unzulässig, die Festgehaltenen müßten unverzüglich freigelassen werden.

Die dumpfe Ethik der Wirtshausschlägerei als Leitlinie politischen Handelns hat in Bayern Tradition. Das Außergewöhnliche bei den brutalen und jede Verhältnismäßigkeit übersteigenden Polizeieinsätzen in München war lediglich, daß sich derzeit mindestens 6.000 Journalisten in München herumtreiben. Die Lederhosen-Folklore auf dem Marienplatz mag schlichte Gemüter wie Helmut Kohl erfreuen, die internationale Presse ist damit nicht gänzlich zufriedenzustellen. Also avancierten die Polizeiaktionen im weltweit einflußreichsten Nachrichtenkanal, dem World Service der BBC, zur Topmeldung und verwies die Berichte über die Gipfel-Gäste auf den zweiten Rang. Kohl — so wußte der Reporter der Washington Post zu berichten — sei wütend gewesen, daß die strong arm-Taktik der Polizei die 22-Millionen-Dollar- Party zu verderben drohe. Waigel hingegen freute sich, daß die Gipfel-Teilnehmer die Protestaktionen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hätten. „Was glauben Sie, was anderswo bei Gipfelkonferenzen los ist“, urteilte der CSU-Vorsitzende. „Dagegen ist das hier nur ein Kinderspiel.“ Es ist offenbar auch nicht die bayerische Art, sich von ausländischen Kritikern irritieren zu lassen.

Münchens Zweiter Bürgermeister Christian Ude reagierte hingegen schnell und zeigte sich alarmiert. Der Sozialdemokrat sprach von „unglaublichen und beispiellosen Vorgängen“. Er ahnte, was die Fotos und Fernsehbilder, die um die Welt gingen, für München bedeuten. Das verlogene Image einer liberalen Weltstadt mit Herz ist ramponiert. Bayerns Polizisten stehen als das da, was sie gegenüber friedlichen wie unfriedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten in den letzten zwanzig Jahren fast immer gewesen sind: brutale Bullen. Michael Sontheimer

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