Großrazzia bei deutschen Irak-Lieferanten

Zollfahnder der „Sonderkommission Nuklear“ schlugen bei neun mutmaßlichen Lieferanten für Saddams Atomwaffenprogramm zu/ Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt nach UNO-Informationen/ Anreicherungsanlage im Irak noch nicht gefunden  ■ Von Thomas Scheuer

In einer bundesweiten Großaktion haben rund 400 Zollfahnder am Dienstag die Geschäftsräume von insgesamt neun deutschen Firmen durchsucht, die im Verdacht stehen, in der Zeit vor dem Golfkrieg das Atomwaffenprogramm des Irak illegal mit Komponenten und Know- how beliefert zu haben. Durchsucht wurden rund 40 Räumlichkeiten, neben den Firmensitzen auch Filialen sowie Wohnungen und Wochenendhäuser von Firmenmanagern. „Das war eine logistische Herausforderung für uns“, meinte ein Beamter gegenüber der taz. Der Schwerpunkt der Großrazzia lag im hessischen Raum. Es wurden umfangreiche Geschäftsunterlagen beschlagnahmt.

Die Aktion geht auf Informationen zurück, die die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) in Wien den deutschen Behörden übermittelt hatte. Inspektionsteams der IAEA sollen im Auftrag des UNO- Sicherheitsrates die Atomanlagen des Irak aufspüren und vernichten. Nach einer ersten Auswertung des IAEA-Materials sah die federführende Staatsanwaltschaft Darmstadt einen Anfangsverdacht auf Verletzung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) gegeben. Für die umfangreichen Ermittlungen wurde bei der Zollfahndung eigens eine Sonderkommission, die „SoKo Nuklear“, eingerichtet. Nach Informationen der taz handelt es sich bei den verdächtigten Unternehmen um Leybold (Hanau), Degussa (Frankfurt), Dupont (Neuss), Varian (Darmstadt), Schenck (Darmstadt), Reutlinger & Söhne (Darmstadt), Rittal (Herborn), Balzers Hochvakuum (Wiesbaden) und Arthur Pfeiffer Vakuumtechnik-Wetzlar (Aßlar). Die beiden letzten Firmen gehören mehrheitlich dem schweizerischen Rüstungskonzern Oerlikon-Bührle. (Über die Lieferung von Spezialöfen durch die Firmen Balzers und Arthur Pfeiffer in den Irak berichtete die taz bereits am 16.2. 1990 unter dem Titel „Heiße Öfen für Bagdad“.)

Die genannten Firmen sollen Komponenten zum Bau einer Uran- Anreicherungsanlage nach dem Prinzip der Gas-Ultrazentrifugen (GUZ) in den Irak geliefert haben. Bei dieser Technik wird Natururan in Gasform in Zylinder geleitet, die mit großem Tempo um ihre eigene Achse rotieren. Dabei werden die schwereren Isotopen des waffenfähigen Uran-235 durch die Zentrifugalkraft von den leichteren Isotopen des Uran-238 getrennt. Für den Bau von Atomsprengköpfen muß das Uran-235 auf über 90 Prozent angereichert werden. (Zum Vergleich: Brennstäbe ziviler Atomreaktoren enthalten auf etwa 2 bis 3 Prozent angereichertes Uran). Eine Anreicherungsanlage besteht aus Hunderten solcher „Uranschleudern“, in denen das Uran in sogenannten „Kaskaden“ stufenweise bis auf über 90 Prozent angereichert wird.

Nach Erkenntnissen der IAEA- Inspektoren stand der Bau von Anreicherungsanlagen im Zentrum des irakischen Atomwaffenprogramms. Dabei konzentrierten sich die Irakis (neben der elektromagnetischen Isotopentrennung) auf die Technik der Gas-Ultrazentrifugen. Bei ihren bisher 12 Inspektionsreisen durch den Irak fanden die IAEA-Kontrolleure an 15 verschiedenen Orten GUZ- Komponenten, darunter sowohl importierte Teile als auch im Irak selbst gefertigte. Erstaunt waren die Experten, als sie im irakischen Atomforschungszentrum Al Tuwaitha Prototypen von Zentrifugen der jüngsten Generation vorfanden, die nicht mehr aus Spezialstahl, sondern aus Kohlenstoffasern hergestellt sind. „Technisch gesehen haben die Irakis Großartiges geleistet“, wertet ein IAEA-Techniker die Entdeckungen. „Die haben perfekte technische Lösungen herausgearbeitet.“ Rund tausend an verschiedenen Orten im Irak aufgefundene GUZ-Teile werden derzeit von IAEA-Experten in Wien analysiert. Eine komplette Fabrik zur Herstellung modernster Gas-Ultrazentrifugen wurde in Al Furat, südlich von Bagdad, ausgemacht. Nach den Berechnungen der IAEA müßte es irgendwo im Irak eine versteckte GUZ-Kaskade mit bisher etwa 50 bis 100 Zentrifugen geben, die etwa in 3 bis 4 Jahren voll betriebsbereit gewesen wäre. Doch diese Anreicherungsanlage selbst haben die UNO-Späher bis heute nicht gefunden. Ihr Standort „bleibt für uns ein Rätsel“, gestand ein IAEA-Inspektor der taz. In der kommenden Woche startet das 13.IAEA- Inspektionsteam, dessen Hauptaufgabe die Suche nach dieser Anlage sein wird.

Offen ist bislang auch die zentrale Frage: Woher hatten die Irakis das Know-how für die technisch komplizierte GUZ-Anreicherung? Saddams Atomiker verweigern den UNO-Leuten dazu bisher jede Auskunft. „Sie tun alles“, berichtet ein Inspekteur, „um ihre ausländischen Quellen zu decken.“ Trotzdem fanden die IAEA-Teams auf Maschinenteilen, auf Containern und in Dokumenten zahlreiche Hinweise auf westeuropäische Lieferanten, darunter auch jene, gegen die die Darmstädter Staatsanwälte jetzt ermitteln.

In Westeuropa gibt es eine große GUZ-Anreicherungsanlage im holländischen Almelo. Sie wird von einem deutsch-britisch-holländischen Firmenkonsortium betrieben. (Aufgrund von zwischenstaatlichen Verträgen gilt die GUZ-Technik übrigens als Staatsgeheimnis.) Hunderte von Zuliefererfirmen und Tausende von Technikern in diesen Ländern, so gibt ein IAEA-Experte zu bedenken, verfügen über GUZ-Know- how. Gegen Manager der Hanauer Firma Leybold-Heraeus (heute Leybold AG) etwa, die auch im Falle Irak wieder ins Visier der Fahnder geraten ist, ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft seit über fünf Jahren, weil Firmenangehörige über die Schweiz Anreicherungstechnik nach Pakistan geschmuggelt haben sollen. Anfangs der 80er Jahre hatte ein pakistanischer Atomwissenschaftler in Almelo geheime GUZ-Pläne gestohlen. Eine Zusammenarbeit zwischen Pakistan und Irak beim Streben nach der „islamischen Bombe“ halten UNO-Experten zumindest für nicht ausgeschlossen.