Helsinki: Konferenz der zaghaften Schritte

Auf der heute beginnenden vierten KSZE-Konferenz bleibt der Stuhl von Rumpf-Jugoslawien leer/ KSZE-„Vertiefung“ läßt auf sich warten/ Nichtregierungsorganisationen dürfen nicht teilnehmen  ■ Aus Helsinki Christian Semler

Während die Staatsmänner noch gemessen die Gangway des Flughafens von Helsinki herabschritten, um anschließend ebenso gemessene Erklärungen abzugeben, entschied am Mittwoch vormittag der Ausschuß hoher Beamter, daß Rumpf-Jugoslawien nicht am Tisch der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) Platz nehmen darf. Allerdings werden ein Schildchen mit der Aufschrift „Jugoslawien“ und ein leerer Stuhl im Beratungsraum an die serbisch-montenegrinischen Ansprüche erinnern. Der „Ausschuß“ hat zugesagt, seine Entscheidung am 14. Oktober zu überprüfen — allerdings unter einer Bedingung, die für die neue serbische Regierung schwer akzeptierbar scheint: sie muß Missionen der KSZE nach dem Kosovo, der Wojwodina und dem Sandschak die Tür öffnen. Es geht darum, die Unterdrückung der Albaner, Ungarn beziehungsweise Muslime in Regionen dingfest zu machen, die von der serbischen Regierung als integraler Bestandteil der serbischen Republik angesehen werden. Es steht also das Prinzip der Nichteinmischung, unter dem die „alte“ KSZE 1975 begonnen hatte, gegen ein neues Prinzip — das der beschränkten Souveränität angesichts schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen.

Die seit Frühjahr in Helsinki tagenden Diplomaten zeigen nach zwei Nachtsitzungen zufriedene Mienen — das Abschlußdokument ist so gut wie fertig. Für John Kornblum, gewichtiger Botschafter der USA bei der KSZE, hat sich der Schweiß besonders gelohnt. In der schroffen, sich seit Monaten hinziehenden Kontroverse um die Rolle der Nato bei „peace-keeping missions“ und als eventuelle Einsatztruppe bei Sanktionen haben sich die USA gegenüber Frankreich durchgesetzt. Die Nato wird ausdrücklich erwähnt, allerdings können auch andere Staaten an militärischen Operationen teilnehmen, ohne der Nato unterstellt zu werden. Welchen Charakter diese Operationen haben werden, ist noch nicht ganz klar. Der Terminus „peace-keeping“ verweist eher auf die „Puffer“-Rolle denn auf militärisches Eingreifen gegen den Willen des betreffenden Staates.

Der Entwurf des Schlußdokuments sieht die Einrichtung eines Sicherheitsforums vor, auf dem über weitere Abrüstungsschritte verhandelt werden soll. Damit würde der bisherige Abrüstungsprozeß beziehungsweise Prozeß der Vertrauensbildung in Wien und Stockholm institutionalisiert. Das Wiener Zentrum für Konfliktverhütung erhielte einen politischen Arm.

In einer speziellen Frage, dem Abzug der ehemals sowjetischen Truppen aus den baltischen Republiken, hat die Regierung in Moskau im allerletzten Moment eingewilligt, eine entsprechende Forderung in das Schlußdokument aufzunehmen — allerdings ohne Namensnennung der Okkupationsmacht. Die baltischen Staaten hatten zu dem bewährten Mittel gegriffen, mit Nichtunterzeichnung zu drohen. In der für die europäische Friedenssicherung grundlegenden Frage des Minderheitenschutzes wird die KSZE einen zaghaften Schritt nach vorn machen: ein Delegierter für Minderheitenfragen wird seine Arbeit aufnehmen. Die Moskauer Menschenrechtskonferenz der KSZE hatte bereits beschlossen, Missionen zur Untersuchung der Lage von Minderheiten auch gegen den Willen des „Mehrheitslandes“ durchzuführen. Die Respektierung der Minderheitenrechte hatte auch zu dem Forderungskatalog der EG für die Anerkennung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens gestanden. Dennoch wird der jetzige Schritt der KSZE in keiner Weise der Notwendigkeit gerecht, ein europäisches Minderheitenstatut auszuarbeiten und dessen Einklagbarkeit — sei es individuell oder noch besser kollektiv — zu gewährleisten. Die Westeuropäer verstehen es geschickt, das Problem zwischen Europarat, europäischem Menschenrechtsgerichtshof und KSZE hin- und herzuschieben — haben doch einige von ihnen selbst Minderheitsprobleme.

Von der „Vertiefung“ des KSZE- Prozesses sind die Festlegungen des Entwurfs zum Schlußdokument weit entfernt. Selbst wenn eine permanente europäische Friedenstruppe geschaffen werden sollte — ihre Zusammensetzung würde nur die Auseinandersetzungen widerspiegeln, die es zwischen der Nato, der WEU, der KSZE und der UNO-Orientierung gäbe. So wie die Dinge einen Tag vor Eröffnung der vierten KSZE-Konferenz standen, wird die Zusammenkunft in der Sicherheitsfrage mehr der Identitätsfindung der Nato dienen als einem europäischen kollektiven Sicherheitssystem.

Bittere Bekanntschaft mit den Realitäten europäischer Konferenzdiplomatie mußten die zahlreich aus dem Westen angereisten Vertreter der Nichtregierungsorganisationen machen. Sie bleiben, wie schon immer, von den Beratungen ausgeschlossen. Ihre osteuropäischen Schwesterorganisationen hatten die Reise gar nicht erst angetreten — Finnland ist ein teures Pflaster.