Der sogenannte Aufschwung Ost

Die Treuhand verhökert die Ostberliner Verlage „Volk und Welt“ und „Henschel-Schauspiel“  ■ Von Christoph Links

Als mir Anfang des Jahres Martin Flug sein ManuskriptTreuhand-Poker — Die Mechanismen des Ausverkaufs auf den Verlagstisch legte, schien mir manches recht überzogen, und ich bat ihn, mir die haarsträubendsten Geschichten mit Dokumenten zu belegen, da ich wenig Lust verspürte, gleich nach Erscheinen verklagt zu werden. Doch in jedem einzelnen Fall konnte er mich von der Sauberkeit seiner Recherche überzeugen, und die Tatsache, daß bis heute — drei Monate nach der Erstauslieferung — keine Einstweiligen Verfügungen bei uns herniedergegangen sind, scheinen ihm zusätzlich recht zu geben.

Heute würde ich wahrscheinlich nicht mehr so skeptisch fragen, denn das, was ich in den letzten Wochen in meiner unmittelbaren Umgebung, der Ostberliner Verlagsszene, erlebt habe, stellt Flugs Report noch um einiges in den Schatten. Beim Sommerschlußverkauf der übriggebliebenen Staats- und Parteiverlage spielen sich Dinge ab, für die jeder Poker-Spieler von seinen Partnern hinausgeworfen worden wäre.

Da ist vor allem die Geschichte von „Volk und Welt“, neben „Aufbau“ der zweitwichtigste Belletristik-Verlag der DDR. Er war auf Auslandsliteratur spezialisiert, holte ins Land, was irgend möglich war, um die provinzielle Enge wenigstens geistig zu durchbrechen. Hier erschienen nach langen Kämpfen erstmals Max Frischs Stiller und das Werk von Jorge Luis Borges, hier wurde Sigmund Freud gedruckt, als er sonst noch überall tabuisiert war, und hier begegnete man den wichtigen sowjetischen Autoren — von den Klassikern Bulgakow, Ehrenburg, Platonow bis zu Aitmatow, Trifonow und Tendrjakow, die mit ihren vielgelesenen Werken die Herbstrevolution geistig mit vorbereiteten. Doch das Problem bei den meisten westlichen Titeln war, daß es sich um Sublizenzen aus der Bundesrepublik handelte, also um Werke, die andernorts längst auf deutsch erschienen waren. Das brachte dann auch entsprechende Einbrüche bei der überschnellen Öffnung des Marktes durch die Währungsunion am 1.Juli 1990. Der Verlag hatte objektiv keine Chance, binnen weniger Wochen sein vertraglich langfristig gebundenes Programm völlig umzustellen. Bis Jahresende 1990 mußten alle Lizenztitel vom Markt verschwunden sein, da die westdeutschen Verlage mit den deutschsprachigen Originalrechten ihre eigenen Ausgaben verkaufen wollten.

Es kam also darauf an, möglichst schnell das bisherige Profil zu verändern, um auch ohne „Zweitverwertung“ ein lebensfähiges eigenens Programm zu entwickeln. Hier bot sich die osteuropäische Literatur an, bei der der Verlag in der Vergangenheit Kompetenz bewiesen hatte und auch über eigene Rechte verfügte. Doch dazu konnte sich im Taumel der Öffnung nach Westen in den Chefetagen niemand durchringen, so daß das diffuse, kaum konturierte Programm mit „internationaler Literatur“ wie gehabt fortgeführt wurde, nur daß plötzlich keine Zugpferde mehr zur Verfügung standen. Entsprechend konzeptionslos waren dann auch die ersten Entlassungswellen. Damit einher ging der Absturz in die roten Zahlen. Insofern war die Ablösung des langjährigen Verlagsleiters Jürgen Gruner zur Leipziger Buchmesse 1991 folgerichtig, nur die Einsetzung des Treuhand-Vertrauten Ingo-Eric M. Schmidt-Braul, Literaturagent aus Düsseldorf, war eine fragwürdige Entscheidung.

Schmidt-Braul war — nach Angaben des 'Hamburger Abendblattes‘ — vom Econ-Verlag wegen Unfähigkeit entlassen worden, was aus gleichem Grund schon einmal bei der Ausstellungs-GmbH der Frankfurter Buchmesse geschehen sein soll. Sein Auftritt bei Volk und Welt war bisher denkbar glücklos. Die Einstiegs-Offenbarung vor der Belegschaft, daß auch er kein Sanierungskonzept hätte, sondern lediglich für die Privatisierung zuständig sei, bewahrheitete sich leider. Nach einem weiteren Jahr war der Verlag von ehemals 130 Mitarbeitern mit 150 Titeln im Jahr auf 18 Mitarbeiter mit knapp 40 Titeln geschrumpft, nur daß sich eben an der Produktivitätsstruktur wenig geändert hatte. (Als Faustregel unserer Branche gilt: mindestens drei Titel pro Mitarbeiter im Jahr, möglichst fünf.) Das Resultat: Monat um Monat wuchs das Defizit — und die Treuhand schaute munter zu.

Als die Belegschaft im September vorigen Jahres gegen ihren Import- Chef aufbegehrte und ihm — in Abwesenheit — geschlossen das Mißtrauen aussprach, sprang ihm die Treuhand sofort zur Seite und drohte den Verlag zu liquidieren, falls die Belegschaft dem eingesetzten Chef nicht Folge leisten würde. Aber Schmidt-Braul konnte weder ein zeitweilig favorisiertes Management-buy-out-Verfahren zuwege bringen, da er keine Finanzierungsquellen aufzuschließen vermochte, noch kompetente Käufer für den Verlag interessieren. Dort, wo sich dennoch eine Verkaufsvariante abzeichnete, schoß die Treuhand quer, so bei der Bewerbung der Volker- Spieß-Gruppe aus Westberlin, die zuvor schon den Morgenbuch-Verlag übernommen hatte. Hier spielte nämlich die Immobilie eine entscheidende Rolle, die eigentlich zu Volk und Welt gehörte, aber inzwischen von der Treuhand für die Bundesregierung beansprucht wird, handelt es sich bei dem Haus in der Nähe des Postdamer Platzes doch um ein lukratives 50-Millionen-Objekt. Dies sollte vom Geschäftsbereich Volk und Welt abgetrennt und der Verlag dann „pur“ verkauft werden, was entsprechende Verhandlungen zusätzlich komplizierte, da die erforderlichen juristischen Schritte (Grundbuchänderung etc.) noch immer nicht vollzogen worden sind.

Daran ist dann offensichtlich auch der Versuch von Schmidt-Braul gescheitert, den Luftfahrtunternehmer Dornier für die Übernahme zu gewinnen. Silvius Dornier wußte aus seinen zähen Verhandlungen mit Daimler-Benz, denen er einen Großteil seiner Aktien verkauft hatte, daß auch bei der Treuhand etwas rauszuschlagen wäre. Wenn sie schon die teure Immobilie einsackte, sollte sie wenigstens noch den Verlag entschulden und etwas Geld für die Anschubfinanzierung locker machen.

Um dem zu entgehen, suchte sich die Treuhand lieber weniger erfahrene Verhandlungspartner, die sie dann auch in den Kalender- und Fotoalben-Produzenten Treuleben & Bischof aus Eching bei München fand. Die jungen Kaufleute (Jahrgang 1959 und 1965) wurden binnen weniger Tage übertölpelt und zur Unterschrift überredet. Während der knapp vierzehntägigen Verhandlungen soll den Käufern regelrecht verboten worden sein, mit dem Verlag — Geschäftsleitung wie Betriebsrat — Kontakt aufzunehmen. Auf jeden Fall ist niemand von den Betroffenen gehört worden — entgegen allen Zusagen und im Widerspruch zum Treuhand-Statut selbst. Auch der prominente Förderkreis des Verlages mit Günter Grass, Rolf Hochhuth, Günter Gaus, Fritz J. Raddatz, Adolf Muschg, Manfred Bissinger und anderen ist schnöde übergangen worden. So konnte den Käufern ein imaginärer Wert des Unternehmes von drei Millionen Mark vorgespiegelt werden, der sich bei näherem Hinsehen auf im Grunde unverkäufliche Altbestände bezog. Auch erklärten sich die beiden in Unkenntnis der Verhältnisse bereit, mit dem Verlag binnen sechs Monaten das Haus in der Glinkastraße zu verlassen, während allen anderen Interessenten noch langfristige Mietverträge zugesagt worden waren. Schließlich brauchten die bayerischen Jungunternehmer auch nur für zehn Arbeitsplätze Beschäftigungsgarantien und Finanzierungszusagen für ganze 18 Monate abzugeben (bei trickreich vollzogenem rückwirkendem Verkauf zum 1.Januar 1992 sogar nur für zwölf Monate), während man von der Belegschaft, die den Verlag übernehmen wollte, Finanzierungsgarantien für vier bis fünf Jahre verlangt hatte.

Aber selbst mit diesen 18 Monaten scheinen die neuen Eigentümer überfordert zu sein, denn ihr heimatliches Kalender-Unternehmen wirft längst nicht soviel ab, wie Volk und Welt momentan an jährlichen Defiziten einfährt. Doch womöglich kommen sie in diese Kalamitäten gar nicht, denn noch sind sie ja nicht rechtmäßige Eigentümer, sondern nur Käufer. Eigentümer können sie erst werden, wenn die Trennung von der Immobilie juristisch vollzogen ist, das aber kann noch Monate dauern. Vor dieser Entscheidung jedoch sind sie nicht bereit, Geld in den Verlag zu investieren. Die Treuhand wiederum ist auch nicht bereit, weiter zu kreditieren, denn der Verlag ist ja nun offiziell verkauft. Bleibt die Frage, von welchem Geld die verbliebenen Kollegen in diesem Monat ihr Gehalt bekommen sollen, wie man Autoren und Druckereien bezahlen will. Das allein bleibt das Geheimnis der Treuhand, die in ihrer Pressemitteilung vom 1.Juli verkündet: „Zukunft von Volk und Welt gesichert.“

Noch kurioser sind die Vorgänge um den Theaterverlag „Henschel- Schauspiel“, neben dem Leipziger „Reclam-Verlag“, der mittlerweile an den Alteigentümer, das heißt die Reclam GmbH & Co KG im schwäbischen Ditzingen, zurückgegeben wurde, war dies das einzige ostdeutsche Editionshaus, in dem Mitarbeiter und Autoren gleich Anfang 1990 die Geschicke selbst in die Hand nahmen, um das Überleben des kritisch engagierten Projekts zu sichern. Nach dem Vorbild des Verlags der Autoren gründeten 68 Bühnenautoren, Übersetzer und Mitarbeiter eine GmbH, in der der Henschel-Buchverlag als ehemaliges Mutterhaus lediglich mit einer Sacheinlage vertreten war, nämlich den alten Textbüchern im damaligen Wert von 60.000DM.

Diese Summe nimmt jetzt die Treuhandanstalt, die den ehemals SED-eigenen „Henschel-Buchverlag“ zu privatisieren sucht, zum Anlaß, den gesamten Theater-Verlag zu beschlagnahmen, und zwar mit sofortigem Vollzug, ohne Konsultation der beteiligten Autoren und Übersetzer. Höhnisch bietet man ihnen an, den Verlag zu einem hohen Preis von der Treuhand zu kaufen. Schließlich seien ja auch die Rechte von nicht zu unterschätzendem Wert. Im Klartext: die Autoren sollen ihre eigenen Rechte zurückkaufen, die niemals der Treuhand gehörten. Daß dies den geballten Protest der gesamten Branche hervorgerufen hat — Solidaritätserklärungen liegen unter anderem vom Schriftstellerverband, dem Bühnenverband, der Verwertungsgesellschaft Wort und zahlreichen Verlegern vor —, ist nur verständlich und dringend geboten. Sollte nämlich dem Widerspruch des Theaterverlages gegen den sofortigen Vollzug der Treuhand-Beschlagnahme Anfang August vor dem Berliner Verwaltungsgericht nicht stattgegeben werden, bedeutete dies das Ende eines demokratischen Neuanfangs in der ostdeutschen Verlagsszene. Die Autoren — unter ihnnen Heiner Müller, Volker Braun, Christoph Hein und Thomas Brasch — würden dann nämlich ihre Rechte zurückziehen und zu anderen, notgedrungenermaßen westdeuschen, Bühnenvertrieben wechseln. Ist das der viel zitierte „Aufschwung Ost“, ist das der Sanierungsauftrag der Treuhand?

Die Wirklichkeit hat meine Lektüre mehr als bestätigt. Dem Buch von Martin Flug Treuhand-Poker wüßte ich heute ein dramatisches Kapitel hinzuzufügen, und wahrscheinlich würde ich dem Ganzen auch einen wesentlich schärferen Titel geben.

Der Autor ist selbst Verleger in Ostberlin.