„Wem nützt diese Selbstmordthese?“

■ Betr.: „Ob man mir glaubt, ist mir egal“, Interview mit Peter-Jürgen Boock, taz vom 16.Juni 1992

Jetzt greift Boock als Stammheimer Leichenfledderer nach dem letzten Strohhalm, um auf Kosten der Selbstmordlüge von Baader, Enslin und Co. noch mit Hilfe des Staatsschutzes Aussicht auf Begnadigung zu erhalten. Und alle fallen darauf herein! Jeder weiß, daß die Stammheimer Nacht bis heute Deutschlands Justiz im Ausland bis in den letzten Winkel der Welt geschadet hat. Durch den Gefangenen Boock, der im Gefängnis wie kein zweiter Gefangener nichts als Vorteile und Privilegien sich zu verschaffen versteht, der vom Staatsschutz nachgerade protegiert wird, soll nun die Geschichte Stammheims zum Wohlgefallen aller aufgeklärt sein. Nichts liegt doch der deutschen Justiz mehr im Magen als die Wahrheit von Stammheim, die nun dank Boock endgültig als kollektiver Selbstmord der RAF-Führung in Geschichtsbücher eingehen soll. Wie naiv sind eigentlich Wolfgang Gast und Michael Sontheimer?

Wenn Boock dem Staat nicht so nützte, so würde er angesichts der eingestandenen Taten nicht im Knast so weich gebettet. Unabhängig von der Person Boocks, den seine Besucher nur aus der Atmosphäre eines Besucherraumes, seine Freunde lediglich aus den Zusammenkünften in der Besuchskirche in Santa Fu kennen, nicht aber, wie er sich im Knast seit Jahren Liebkind mit Justizverwaltungen macht, die andere, revolutionäre Gefangene so verfolgt, wie man es einem Boock nicht wünschte, dem die Justiz bis auf die Freilassung noch jeden Wunsch erfüllt, haben alle wohl die krassen Ungereimtheiten bei den Toten von Stammheim vergessen und verdrängt.

Man müßte dazu bloß die Ausgaben des 'Spiegel‘ aufschlagen. Seltsam, daß gerade in dieser Nacht der angeblichen Selbstmorde der Bildschirm auf dem Wachzimmer im siebten Stock ausfiel. Eine ganze Reihe ungewöhnlicher Merkwürdigkeiten geschah in dieser Nacht. Ich selbst kenne den siebten Stock in Stammheim aus eigener Anschauung sehr genau. Dort geht noch ein Treppenhaus ab, aus dem, vor allem wegen der ausgefallenen Video-Überwachung, ein staatliches Mordkommando unbeobachtet jederzeit sein Handwerk hätte ausführen können. Und es war schon mehr als seltsam, daß kein Gefangener einen Knall einer Schußwaffe in dieser Nacht hörte, wo doch die bei den Toten aufgefundenen Waffen keinen Schalldämpfer hatten. So hörten Gefangene aus dem sechsten Stock in der Zelle unter der von Andreas Baader noch kurz vor dessen angeblicher Selbsterschießung dessen Toilettenspülung, jedoch nicht entfernt den Laut eines Schusses. Wer Stammheim kennt, weiß, daß es völlig ausgeschlossen ist, daß dort in Zellen Schüsse fallen können, ohne daß diese gehört werden. Während der angeblichen Selbstmorde waren noch Dutzende von Untersuchungsgefangene auf hellhörigen Zellen, deren Fenster wie die der darüber zu Tode Gekommenen wach, teils beim Kartenspielen. Viele schlafen nämlich tagsüber in U-Haft und spielen die Nächte durch Karten in Stammheim. Keiner gab je an, einen Schuß vernommen zu haben. Die naiven tazler kennen mit Sicherheit die akustischen Verhältnisse in Stammheim nicht. Der Männerbau ragt sieben Stockwerke in die Höhe. Vis-à-vis davon ist der fünf Etagen hohe Frauenbau. Rechts die Verwaltung, links die Anstaltsküche mit einem Fahrradbetrieb, wo Speichen in Räder eingezogen werden. In diesem Innenhof, umgeben im Viereck von hohen Gebäuden, könnte eine Akustik keinen Schuß unerhörbar machen. Mindestens 200 Gefangene hätten Schußgeräusche hören müssen. Über 160 Stammheimer Gefangene wurden vernommen, von denen keiner etwas hörte, was nach Schuß klang, doch Toilettenspülungen und bloße Pfürze vernahmen sie, um es einmal drastisch zu schildern.

Mich interessiert so ein Schleimer wie der Boock nicht, dem ich bei der Gefängnisrevolte in Santa Fu im Mai 1990 nur einen Satz sagte: „Verschwinde im Hof, auf unsere Knochen erschleichst du dir keine Vorteile wie bei deinen Ex-Genossen, von deren Verrat du so gut lebst.“ Der Boock geht in Beamtenzimmern ein und aus, sitzt ständig bei Vollzugsleiterinnen und genießt die Vorteile der Haft, die ihm keiner neidet, solange er sich heraushält. [Bei der Boock-Anpisserei, die Du hier betreibst, kräuseln sich mir echt die Fingernägel! Die Säzzerin] Zweimal sprach ich ihn wegen seiner Art an, worauf er nur meinte, Dr.Huber vom SPK achte doch heute auch nur auf seinen Vorteil. Daß der es wagt, solch einen Ex-Gefangenen in den Mund zu nehmen, der, wie ich in Bruchsal und Ludwigsburg mitbekam, nicht einmal ein Wort mit einem Wärter oder Beamten wechselte.

Für mich ist der Boock der Mann am Nasenring des Staatsschutzes. An der Selbstmordgeschichte ist lange gefeilt worden. Und Leute wie Boock werden ja vom Staatsschutz betreut. Daß er die Waffen nach Stammheim plötzlich geschmuggelt haben will, ist sicherlich nützlich erfunden. Damals wurde behauptet, der Rechtsanwalt Haak sei es mit absoluter Sicherheit gewesen.

Wem nützt diese Selbstmordthese, die nun im Kleide der staatlichen Reinwaschung als Wahrheit vermarktet wird? Vor allem dem Staat und seinem Zeugen Boock. Das Ganze ist natürlich wunderbar eingefädelt, weil nicht nur der Otto auf der Straße, sondern vor allem die letzten Zweifler und Intellektuellen endgültig davon überzeugt sein sollen, in Deutschland würden Gefangene in Zellen nicht ermordet. Daß deutsche Politiker im Vorfeld der Tode bereits öffentlich von „exotischen Lösungen“ sprachen, der Kader im siebten Stock zu Stammheim zur höchsten Gefahr für Leib und Leben der Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft wurde, wird heute schlicht vergessen.

Selbst alle Indizien, die für einen Mord ebenso sprachen wie die Aussage einer Selbstbetroffenen Irmgard Möller, werden durch die geschickten Selbstbezichtigungen und Darstellungen eines Boock beiseite gewischt. In irgendeiner Verpackung müssen die Toten ja als Selbstmörder verkauft werden. Und wer anderes sieht darin seine letzte Chance, freizukommen als Boock. Seine Perspektive ist das, in einem Geschäft, bei dem er zwangsläufig Verlierer sein wird. [...] Michael Jauernik,

JVA Straubing

Wir distanzieren uns von dem beleidigenden Ton dieses Briefes, haben uns wegen der Bedeutung des Themas aber entschlossen, ihn trotzdem zu veröffentlichen J.Harms