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KOMMENTARDuckmäuserei und Selbstvertrauen

■ Zur neuen Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität

Rechtsstaat, so sagte Marlis Dürkop kürzlich, muß man behutsam vormachen. Sie drückte damit wohl die Erwartungen derer aus, die sie am Donnerstag zur Präsidentin der Humboldt- Universität wählten. Peter Glotz dagegen konnte das Wahlgremium nicht davon überzeugen, daß es ihm um eine nach innen gerichtete Seelenarbeit geht und nicht vorrangig um seine weitere politische Karriere. Er steht für die erneuerte internationale Reputation der Humboldt-Universität, für intellektuelle und gesellschaftliche Ausstrahlung — alles Dinge, die den materiell ungesicherten Mitgliedern einer immer noch ziellos durch die neue Zeit stolpernden Universität derzeit zweitrangig erscheinen.

Seine als kalt empfundene intellektuelle Kompetenz, aber vor allem seine Eingebundenheit in das politische Netzwerk der alten Bundesrepublik sprachen gegen ihn. In der Wahl Dürkops schwingt deswegen auch der gegenwärtige Wessi-Haß in Ostdeutschland mit. Frau Dürkop nämlich zählt — obwohl selbst aus dem Westen, aber mit dem Bonus der Bürgerbewegung versehen — nicht als Wessi. Die ehemalige Rektorin der Westberliner Fachhochschule für Sozialarbeit gilt durch ihre Abgeordnetentätigkeit für das Bündnis 90/ Grüne als ausgesprochen kompetent, einfühlsam und dialogbereit — eine durchaus gefährliche Mischung, weil es Erwartungen ganz unterschiedlicher Art weckt.

Die neue Präsidentin repräsentiert deswegen sowohl den Wunsch, das arg geschrumpfte Selbstvertrauen der Universität zu retten als auch eine Wehleidigkeit über die verlorenen Zeiten. In ihrer Person schneiden sich die Hoffnungen derer, die einen wirklichen Aufbruch und die schonungslose Abrechnung mit alten Zeiten wünschen als auch Erwartungen auf eine möglichst umstandslose Beendigung dieser Vergangenheitsbewältigung.

Der Berliner Senat, der ihren Vorgänger Heinrich Fink mit Stasi-Vorwürfen aus seinem Amt zwang, hat zwar juristisch verloren, sich aber politisch durchgesetzt. Entscheidend dafür war nicht das ungehemmte Eingreifen des Berliner Wissenschaftssenators Erhardt (CDU) in die innere Autonomie der Humboldt-Universität, sondern vor allem die aus alten Zeiten gut eingeführte Anpäßlerei und Duckmäuserei der Humboldtianer. Die Universität wieder aus dem Staatszugriff zu befreien, wird deshalb Marlis Dürkops erste Aufgabe sein müssen. Auf sie wartet zugleich, die feine Balance zu finden zwischen den zwingend notwendigen Reformen und der Aufgabe, den Ostdeutschen vorzumachen, was Rechtsstaat wirklich sein kann. Gerd Nowakowski

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