Ungarn in der Slowakei: „Wir waren immer hier“

Die ungarische Minderheit in der Südslowakei fürchtet neuen Nationalismus nach der bevorstehenden Auflösung der Tschechoslowakei und fordern Autonomie/ Streit um das Donauwasserkraftwerk Gabcikovo verschärft die Stimmung  ■ Aus der Südslowakei S. Herre

Kein Marktplatz. Kein Stadtzentrum. Kein Renaissancerathaus, keine Barockpalais. Statt dessen: Eine lange, kerzengerade Hauptstraße, kleine, einstöckige Häuschen zu beiden Seiten, eine gotische Kirche, ein futuristisches Postgebäude, ein überdimensionales Kaufhaus im realsozialistischen Stil der frühen Siebziger. Nichts, aber auch gar nichts lädt zum Verweilen ein. Neugierde wecken allein die zweisprachigen Aufschriften auf Straßenschildern, Kaufhäusern und Restaurants: „Modry dunaj“ ist slowakisch, „Kek duna“ ist ungarisch, übersetzt heißt das „Blaue Donau“. Zweisprachig sind auch über 70 Prozent der 23.000 Einwohner: Dunajska Streda ist eine ungarische Stadt in der Slowakei, nahe Bratislava.

Und als solche ist sie ins Gespräch gekommen, nachdem die nationalistische „Bewegung für eine demokratische Slowakei HZDS“ unter Vladimir Meciar bei den tschechoslowakischen Parlamentswahlen zur stärksten Partei in der Slowakei wurde. Denn in der fünf Millionen Einwohner zählenden Slowakei leben zwischen 600.000 und 800.000 UngarInnen. Ensteht hier mit der geplanten Proklamierung einer „Slowakischen Republik“ ein „zweites Jugoslawien“?

Diese Befürchtungen lassen sich historisch begründen. Die ungarischen Bewohner der Slowakei mußten sich bereits mehrmals an „neue Herren“ gewöhnen: Nachdem das ehemalige Oberungarn sich beim Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 von Ungarn gelöst und mit Böhmen und Mähren zur „Tschechoslowakei“ verbunden hatte, zwang Hitler 1939 die von ihm abhängigen Slowaken zur Abtretung des ungarischen Siedlungsgebietes an den ungarischen Horthy-Staat. Nach dem zweiten Weltkrieg strebten die Slowaken eine „definitive Lösung der ungarischen Frage an“, 83.000 UngarInnen wurden nach Ungarn umgesiedelt, der „Bevölkerungstransfer“ erst nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 gestoppt.

Die Angst vor einer Wiederholung der Geschichte ist besonders deutlich in Samorin, einer anderen ungarischen Gemeinde in der Südslowakei, zu spüren. Zunächst auch hier das gleiche Bild: Kein Marktplatz, eine langgezogene Hauptstraße, große Villen neben Neubausiedlungen in Plattenbauweise. Doch während das Straßendorf als Siedlungsform ganz der ungarischen Tradition entspricht, sieht die ungarische Bevölkerung die Wohnsilos als ein slowakisches Kuckucksei im ungarischen Nest. Mit den neuen Bauten begann für sie die Slowakisierung des ungarischen Siedlungsgebietes.

„Wir waren schon immer hier“

Magda Fister, eine Angestellte der Stadtverwaltung: „Samarin liegt nur 20 Kilometer von Bratislava entfernt. Viele dort arbeitende Slowaken konnten hier billige Wohnungen finden, der ungarische Bevölkerungsanteil ging zurück, wir sind zu einer Pendlerstadt geworden.“ Magda ist stolz auf ihre ungarische Nationalität. „Viele Slowaken sagen: Geht dahin zurück, woher ihr gekommen seid. Sie vergessen: Wir sind nicht gekommen, wir waren schon immer hier.“ Ihre Freundin Zuzanna fügt ihre Interpretation der ungarisch-slowakischen Geschichte an: „Wir sind ein viel älteres Volk als die Slowaken, unsere Kultur ist höher, selbst während der Herrschaft der Nazis wurden in Ungarn weniger Juden als in der Slowakei umgebracht.“ Die inzwischen alltäglich gewordenen Diskriminierungen nehmen die beiden — noch — auf die leichte Schulter. Magda: „Daß die Slowaken in Bratislava uns auffordern, slowakisch zu sprechen, daran habe ich mich schon gewöhnt.“ Und: „Neulich wurden bei uns wieder einmal die ungarischen Straßenschilder übermalt. Doch das waren keine Einheimischen, das möchte man uns nur einreden. Statt dessen waren Einsatztrupps aus Bratislava unterwegs.“

Nationales Selbstbewußtsein ist in jedem Satz von Magda und Zuzanna zu spüren. Das Gegenstück dieses Selbstbewußtseins vermuten sie in einem tiefverwurzelten Minderwertigkeitsgefühl der Slowaken: „Die hatten nie ihren eigenen Staat.“ Und sie meinen zu wissen, welche Gefahren ihnen hier drohen: „In einer selbständigen Slowakei werden unsere kulturellen Rechte weiter eingeschränkt werden. Schon jetzt fehlen 2.000 Lehrer für unsere ungarischen Schulen, immer mehr müssen slowakische Gymnasien besuchen, ungarischen Universitäten gibt es gar nicht.“

„Wir fordern Selbstbestimmung“

Und so haben die Ungarn sich entschlossen, nicht erst auf die angekündigten Gesetzesinitiativen der nationalistischen slowakischen Parteien zu warten. Noch bevor eine Reform des „Sprachgesetzes“, die das Slowakische zur alleinigen Amtsprache auch in den ungarischen Siedlunsgebieten machen könnte, diskutiert wurde, forderten sie „Autonomie“ des von ihnen bewohnten Gebietes.

Was darunter jedoch zu verstehen ist, weiß bisher auch Vojtech Bugar, der Vorsitzende der „Ungarischen Christdemokraten“ — der stärksten ungarischen Partei — nicht genau: „Wir fordern das Selbstbestimmungsrecht. Entstehen sollen ,Regionen‘, Zusammenschlüsse mehrerer ungarischer Gemeinden, die gemeinsam über die Dinge entscheiden, die sie betreffen.“ Den slowakischen Vorwurf, diese Regionen an Ungarn anschließen zu wollen, weist Bugar jedoch entschieden zurück: „Wir sind Bürger der Slowakei.“

Keine Antwort kann der Parteivorsitzende auch auf die Frage geben, was passieren wird, wenn die slowakische Regierung ihre Forderungen nicht akzeptiert. Doch genau damit ist zu rechen. Denn selbst Parteien, die kaum als nationalistisch bezeichnet werden können, weisen darauf hin, daß bei einer ungarischen Selbstverwaltung der Südslowakei die Rechte der dort lebenden SlowakInnen eingeschränkt werden würden. Führende Vertreter der „Bewegung für eine demokratische Slowakei HZDS“ versichern zwar, daß „wir den Ungarn die individuellen Minderheitenrechte so wie sie in internationalen Abkommen festgelegt wurden ohne Einschränkung gewähren werden“. Die Worte des slowakischen Kultusministers Dusan Slobonik klingen anders: „Gehen sie in der Südslowakei in einen Bäckerladen und verlangen ein Brot. Dann erhalten sie als Antwort: Ich verstehe nicht. Die Ungarn in der Slowakei müssen besser Slowakisch lernen, sonst schaden sie sich selbst.“

Dusan Slobodnik stammt aus der Mittelslowakei, aus einer Region, in der die Sowjetunion Rüstungs- und Schwerindustrie konzentrieren ließ, in der die Arbeitslosenquote bei über 10 Prozent liegt, in der die HZDS ihre Hochburg hat. Gerade hier, wo kaum Ungarn leben, sind die Befürchtungen der „Magyarisierung“ der slowakischen Bevölkerung am größten. Doch selbst Slobodnik muß zugeben, daß in den gemischt bewohnten Gebieten Ungarn und Slowaken „gut miteinander auskommen“, ebenso wie die Ungarn ist er der Ansicht, daß hier „kein zweites Jugoslawien“ entstehen könnte.

Der Streit um das Wasserkraftwerk Gabcikovo verschäft jedoch den schwelenden Konflikt. Selbst wenn ungarische und slowakische Gegner des Mammutstaudamms sich bewußt bemühen, rein ökologisch zu argumentieren, läßt sich die nationale Komponete schon lange nicht mehr ausklammern. Die ungarische Regierung will den Bau verhindern, da die ökologischen Folgen des Projektes wie eine Verschlechterung der Trinkwasserqualität sich in erster Linie in den links und rechts der Donau überwiegend von Ungarn bewohnten Gebieten auswirken würden. Für die Slowakei ist die Energie, die das Wasserkraftwerk liefern soll, Voraussetzung für eine größere Unabhängigkeit von der Tschechischen Republik. Außerdem sehen nationalistisch orientierte Slowaken die ungarische Aufkündigung des Vertrages über den gemeinsamen Bau des Staustufensystems als Versuch, die bessere Schiffbarkeit der Donau und damit die volle Auslastung des Hafens in Bratislava zu verhindern. Ungarn wiederum beklagt sich, durch die Umleitung der Donau werde die Grenze zwischen der Slowakei und Ungarn verletzt, die der Fluß bildet.

„Zwölf Jahre“, so meint ein Bewohner der Donauinsel bei Gabcikovo, „belästigen sie uns nun schon mit diesem Wahnsinn. Haben Sie die 27 Meter hohe Staumauer gesehen? Die kilometerlangen Betonwände? Das ausgetrocknete Flußbett, die Straße, die mittendurch führt? Das künstlich begrünte Ufer... Zudem, so heißt es, hat der Beton bereits Risse. Was aber passiert, wenn der Staudamm einmal bricht?“ Doch im warmen Abendlicht der Donauauen scheint der Wahnsinn fern. Die ungarischen Bauern sitzen bei ihrem slowakischen Bier, auf den Höfen gackern fette Hühner, in den Gärten wuchern Rosenbüsche und Tomaten. Ihren ersten Ferientag haben die Jungen und Mädchen des Dorfes im Wasser der Donau verbracht, jetzt sprinten sie auf ihren klapprigen, viel zu großen Rädern mit lautem Gejohle durch die ausgestorbenen Straßen. Für die etwas Ältern ist das Mofa ein unentbehrliches Statussymbol. Und das Hauptthema der Bauern an diesem Abend ist nicht Gabcikovo, sondern der Preis meines Autos.