Wir sind doch alles nur Menschen

Wie die Wende den guten alten Volkspolizisten wandelte/ Einst beschimpft, mit Schmeicheleien besänftigt und geizig bei der Vergabe von Ausreisegenehmigungen, jagt er nun mit Colt und Opel durch die Stadt und verteilt großzügig Strafzettel  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

„Ich warne Ihnen. Achten Sie auf Ihren Worten“, ermahnte mich in der guten alten Zeit ein beleidigter DDR- Polizist. Wegen einer Geldstrafe in Höhe von zehn Mark, „Parken im Kurvenbereich“, hatte ich ihn wüst beschimpft und nach seiner Schulbildung befragt. Die Vorwendebullen konnte man, mit einiger Vorsicht zwar, aber immerhin, kräftig beschimpfen. Auch sie waren Prügelknaben des alten Systems und meistens so rechtlos wie ihre Delinquenten. Viele litten ehrlich unter jener unglücklichen Rolle und ließen oft genug mit sich reden. Aber Helden waren sie damals wie heute nicht.

Unter dem Fenster einer achtzigjährigen Geraer Frau fand kürzlich eine schwere Prügelei statt. „Jetzt mach ich dich alle“, hörte die Erbleichende den Sieger ausrufen. Sie taperte eilig zum Telefon und beschwor die Polizei, so schnell wie möglich zu kommen. Der diensthabende Beamte bedauerte. „Gehnse doch emal selber runder und versuchense, die Schdreidbardeien zu schlischten.“

Mitunter sehnt man sich so recht zurück nach den alten Volkspolizisten. Auch mit Schmeichelei war etwas bei ihnen zu erreichen: „Schwer haben Sie es, Genosse.“ Vorbei, keine Gelegenheit mehr dazu. Man sieht sie heute nur noch vorüberflitzen im rassigen Opel. Schneidig die neue Uniform. Wachsam blinkt der attraktive Colt. Das Tatütata jagt Schauer über die Haut, Adrenalin in die Blutgefäße wegen einer neuen Heimsuchung, die über das arme Land hereingebrochen ist. Wahre Schocker aus Papier, genannt Zahlungsanweisung, unter den Scheibenwischern. Mit welcher Unverschämtheit Menschen oft wegen ein paar Minuten falschen Parkens abkassiert werden, ist einmalig. 30 D- Mark sind die Regel. Das alte „Ost- Erwischesyndrom“ funktioniert wie eh und je. Die Zunge baumelnd vor Jagd- und Herrschsucht, ziehen die Kassenkommandos in den Städten umher. Und wie herrlich ist es doch, bei der jetzigen Hatz den Rechtsstaat im Rücken zu wissen, nachdem viele der Ordnungsämtler früher schon voll Eifer dem Linksstaat dienten. In jener Abteilung für Innere Angelegenheiten, die schreckliche Instanz für jeden Ausreiseantragsteller war.

Heute ist die ehemalige Mitgliedschaft in jener Abteilung fast eine Art Vorentscheid für die besondere Eignung zur nun demokratischen Jagd auf Menschen und ihr Geld. Damals winkten den Eifrigsten der „Inneren“, die es vermochten, einen Antragsteller zur Rücknahme seines staatsgefährdenden Ansinnens zu veranlassen, sogar Prämien. Wäre es nicht auch von Vorteil für das nunmehr aufblühende deutsche Gemeinwesen, den heiligen Eifer unserer neuen alten Ordnungsämtler wieder mit Deputaten und Prämien zu belohnen? Für jeden Erwischten künftig fünf Punkte. Ist die Million erreicht, wird der Beamte mit einem Bon geehrt, mit dem er straflos parken kann, wo immer er will. Auf Kreuzungen, im Halteverbot oder direkt vor der Kneipe. Wie die Parteibosse der DDR, denen sie auch so selbstlos dienten und die über die 100 Stundenkilometer des einstigen deutschen demokratischen Pöbels hinaus aristokratische 130 fahren durften.

Doch da schmetterten kürzlich klatschende Maulschellen über den Markt in Gotha. Sigrid B., arbeitslose Mutter von vier Kindern, stellte ihren Wagen eben mal zwei kleine Minuten ins Parkverbot und eilte, um drei Mark zu sparen, zum Sonderangebotshändler. Doch wie grauenvoll die Rückkehr. Drei Mark gewonnen — dreißig verloren. Das fliegende ordnungsamtliche Auge hatte zugeschlagen. Doch auch unsere Sigrid schlug nun zu. Jener erbarmungslose Ordnungsmensch hatte sich durch seine dreiste Antwort auf Sigrids Bitte, ein Einsehen zu haben, selbst verraten. „Sie können sich ja beschweren.“ Das hatte er ihr schon mehrfach zynisch geraten, lange vor der Wende.

Nun aber ging alles wie der Wind. Flugs war der Zahlungsbefehl zerrissen und Sigrid mit dem Statement entlassen: „Beruhigen Sie sich bitte, wir sind doch alles nur Menschen. Und ich konnte ja nicht wissen, daß ausgerechnet Sie das sind.“