Flucht aus Berlin

■ Neuseeland lud ausreisewillige BerlinerInnen zum Seminar ein/ Arme Einwanderer sind nicht gefragt/ Umweltgefahren als Fluchtgrund

Charlottenburg. »Mildes Klima, keine Umweltverschmutzung, aber auch zehn Prozent Arbeitslosigkeit«, so stellte Alan Moran, der Beauftragte für Einwanderung der neuseeländischen Botschaft, die Lage in seinem Land dar. Die Nachricht über die Arbeitslosenquote schreckte keinen der rund 300 Auswanderungswilligen, die am Samstag in das Vier- Sterne-Hotel Excelsior gekommen waren, um sich über die neue Einwanderungspolitik des Inselstaates informieren zu lassen. Sie wußten, worauf es ankam. Eingeladen war nur, wer ein Universitätsdiplom beziehungsweise eine Berufsausbildung nachweisen konnte oder als Unternehmer über ein »Mindestvermögen von 500.000 Mark« verfügt.

Während sich die Träumer von einem besseren Leben in den zu klein geratenen Konferenzsaal quetschten, protestierte draußen die Projektgruppe Pazifik. Neuseeland werde reichen Deutschen »meistbietend angepriesen«, während den Ureinwohnern, den Maori, ihre vertraglich zugesicherten Landrechte immer noch verweigert würden.

Ungerührt von dieser Kritik, erklärte eine junge Frau, was sie am anderen Ende der Welt zu finden hoffe, »Frieden« nämlich. Vier Vorträge und ein Film mit touristischen Appetithäppchen wurden geboten. Die stärkste Aufmerksamkeit galt einem Punktesystem, nach dem eine Bewerbung bewertet wird. Menschen mit einem naturwissenschaftlichen oder einem Ingenieurstudium haben schon so gut wie bestanden, sofern sie im Englischen mindestens das Sprachverständnis eines elfjährigen Kindes besitzen, so Alan Moran. Nur eine Zwischenfrage wurde während des ganzen Nachmittags gestellt. Nachdem bekannt wurde, daß der höchste Einkommenssteuersatz 33 Prozent beträgt, fragte einer nach der Vermögenssteuer. Erleichtert wurde registriert, daß es keine gibt.

Am Ende teilte sich die Menge in die lediglich Neugierigen und die wild Entschlossenen, die sich sofort um die Bewerbungsformulare rissen. Abenteuerlust ist es nicht, die sie antreibt: Die Auswanderer in spe sind Umweltflüchtlinge: »Das fängt mit den Gefahren beim Überqueren der Straße an«, meinte ein Ingenieur: »Wenn ich sehe, wie oft meine Kinder krank werden.« Ein Fernsehtechniker sieht in der Auswanderung seine Rettung: »In Berlin bekomme ich langsam zuviel. Ich kann nur noch ahnen, wie es weitergeht in einer Hauptstadt, die zu allem Übel auch noch Olympiastadt werden soll. Wenn es mit Neuseeland nicht klappt, versuche ich es in Australien.« Ralf Knüfer