Alle Macht dem "lider"

■ Kubas reformierte Verfassung öffnet das Land weiter für ausländische Unternehmen, aber nur wenig für die eigene Gesellschaft. Zwar soll das Volk seine parlamentarischen Vertreter in Zukunft geheim und direkt...

Alle Macht dem „lider“ Kubas reformierte Verfassung öffnet das Land weiter für ausländische Unternehmen, aber nur wenig für die eigene Gesellschaft. Zwar soll das Volk seine parlamentarischen Vertreter in Zukunft geheim und direkt wählen, doch die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei bleibt — die Machtfülle des „máximo lider“ Fidel Castro ist sogar noch weiter gestärkt worden.

Kubas Parlament trage zwar den Namen „Volksmacht“ (poder popular), aber es sei weder vom Volk gewählt, noch habe es Macht, wie bissige Zungen auf Kuba bemerken. Die am Sonntag zu Ende gegangene Nationale Versammlung der poder popular beschloß nun eine Verfassungsreform, die ersteres ändern will: Die Volksvertreter sollen künftig vom Volk in geheimer und direkter Wahl bestimmt werden. Den zweiten Punkt — daß die poder popular im Staate Fidel Castros keine eigenständige Macht habe — bestätigte sie indes eindrucksvoll: Alle zentralen Punkte der Verfassungsreform waren im Vorfeld bereits vom Politbüro bekanntgegeben worden, die Volksversammlung segnete sie lediglich ab.

Bemerkenswert ist dennoch, in welch ambivalenter Form sich die tiefe wirtschaftliche und politische Krise der sozialistischen Karibikinsel in der Verfassung niedergeschlagen hat. Neben der versprochenen Demokratisierung der poder popular wird gleichzeitig der Rahmen für rigide Repression bei inneren Unruhen vorbereitet. Denn daß sich durch die alltäglichen und gravierenden Versorgungsengpässe Unmut in der Bevölkerung aufstaut, ist der kubanischen Führung durchaus bewußt. Wenn nun „die innere Ordnung, die Sicherheit und die Stabilität des Staates“ gefährdet sein sollten, ist Staatschef Fidel Castro jetzt offiziell dazu ermächtigt, den Ausnahmezustand — bislang in der Verfassung nicht vorgesehen — auszurufen. Neu in der Verfassung ist auch der „Nationale Verteidigungsrat“ unter Vorsitz Fidel Castros — offenkundig der institutionelle Rahmen für eine eventuelle Notstandsregierung.

Keine „Kapitulation aus Angst“

Erstmals seit der Revolution ist nun die Religions- und Glaubensfreiheit in der Verfassung verankert — ein erwarteter Schritt, nachdem auf dem letzten Parteitag der KP im vergangenen Herbst bereits Gläubigen die Mitgliedschaft in der Partei eröffnet worden war. Obwohl in der nun zeitgemäßeren Version die „brüderliche Freundschaft“ mit der Sowjetunion und die Beschwörung der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ aus der Verfassung verschwunden sind, unterstrich Castro in seiner Rede zum Ende der Nationalen Versammlung am Sonntag abend, daß es keine ideologischen Zugeständnisse gegeben habe und es auch in Zukunft keine „Kapitulation aus Angst“ geben werde.

Wenn fürderhin der Held des kubanischen Unabhängigkeitskampfes (1895-1902), José Marti, anstelle von Marx, Engels und Lenin an erster Stelle der ideologischen Heroen genannt wird, ist dies in der Tat kein Anzeichen für eine politische Lockerung: Herzstück von Castros Marti- Interpretation ist dessen Plädoyer für eine (einzige!) „Partei der Revolution“: die nicht vom Marxismus-Leninismus, sondern aus der kubanischen Geschichte abgeleitete Rechtfertigung der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei Kubas.

Dennoch, trotz Castros markiger Worte, daß er den „Sozialismus bis zum Tod verteidigen“ wolle, gab es Konzessionen — allerdings weniger an die kubanische Gesellschaft, sondern vor allem an kapitalistische Auslandsunternehmen, denen Investitionen auf der Insel schmackhaft gemacht werden sollen. Vor allem seitdem der Insel die Handelspartner aus den Comecon-Ländern abhanden gekommen sind und der Devisenmangel des Landes dramatische Formen angenommen hat, werden diese Joint-ventures von der Regierung als Retter in Kubas wirtschaftlicher Not angepriesen. Nun ist diesen empresas mixtas auch in der Verfassung garantiert, daß sie ihre Profite außer Landes schaffen können. Und en passant fiel dabei die zwar ohnehin fiktive, bislang aber noch verbal hochgehaltene Bestimmung, daß ausländische Unternehmen nicht mehr als 50 Prozent der „Gemeinschaftsunternehmen“ besitzen dürfen.

Diese Änderungen bestätigen den Kurs der Castro-Regierung, die ihr Heil in der Zweiteilung der Wirtschaft sucht: Auf der einen Seite die kapitalistischen Dollar-Enklaven ausländischer Unternehmen und auf der anderen Seite — in der Theorie streng getrennt davon — die sozialistische Peso-Ökonomie des übrigen Kuba. Doch für die kubanische Bevölkerung, die nicht durch Beziehungen oder Korruption an der Dollar-Welt teilhat, werden die Lebensbedingungen zusehends schwieriger.

Praktisch alle Waren sind nur noch über die Rationierungskarte, die libreta, zu erhalten. Die Rationen sind dort bereits auf ein Minimum zusammengestrichen worden, und selbst das ist nicht immer erhältlich. Denn wenn die Seifenimporte ausbleiben, dann geht man an der Verteilungsstelle in Havanna auch trotz libreta-Coupon leer aus. Und Devisen für die notwendigsten Importe sind auch kaum noch da.

So wie die kubanischen Exporte fast völlig auf die sozialistischen Staaten ausgerichtet waren, war die in Kuba aufgebaute Industrie abhängig von den aus dem RGW importierten Rohstoffen, allen voran von dem einst hochsubventionierten Erdöl aus der Sowjetunion. Auch wenn hierfür keine Zahlen vorliegen, dürften heute wohl mehr kubanische Industriebetriebe stillstehen als noch produzieren. Und die kubanischen Exporte, denen ihre bisherigen Abnehmer fehlen, sind für Kuba auch zu den schlechten Preisen des Weltmarkts nur noch mühsam in Dollar zu verwandeln. Der internationale Markt für Zucker — mit rund 80 Prozent Kubas Exportprodukt Nummer eins — ist aufgeteilt, und für die vier Millionen Tonnen, die Kuba einst allein in die UdSSR lieferte, kaum Platz übrig.

Der Pragmatismus im Umgang mit ausländischem Kapital, der nun auch in der Verfassung festgeschrieben ist, ist der Versuch, trotz dieser desolaten äußeren Bedingungen zumindest durch den Tourismus und andere lukrative Wirtschaftsbereiche noch ein Mindestmaß an Devisen ins Land zu bekommen.

Eine Reform der kubanischen Wirtschaft selbst allerdings — die etwa durch die Wiedereinführung der Bauernmärkte die heimische Nahrungsmittelproduktion steigern würde oder die rapide steigende Inflation des Peso auf dem Schwarzmarkt als Problem angehen müßte — glaubt Castro noch immer vermeiden zu können. Eine Zukunftsperspektive ergibt sich aus dieser Kombination für Kuba so kaum. Und Castro präsentiert auch keine sehr tröstliche: „Sollte die kubanische Revolution eines Tages verschwinden“, so der máximo lider zum Abschluß der Volksversammlung, „dann werden wir mit ihr verschwinden.“ Bert Hoffmann