Etwas Unausweichliches

■ Der israelische Künstler Dani Karavan und sein Benjamin-Projekt für Port Bou. Aspekte einer Werkschau im Museum Ludwig, Köln

Dani Karavan, 1930 in Tel Aviv geboren, ist ganz der Künstler des ausgehenden 20.Jahrhunderts: ein Nomade, dessen Kunstform ein trainierter Reflex ist, ein Eingriff in Landschaft und Stadtlandschaft, Kommentar oder auch Konkurrenz zur Architektur.

In Köln hat Karavan den Platz gestaltet, der später „Heinrich-Böll- Platz“ genannt wurde, zwischen dem Museum Ludwig/Wallraf-Richartz- Museum und dem Ufer des Rheins. Das Museum Ludwig zeigt in einer Sonderausstellung Entwürfe, Modelle, Fotografien und Videos von geplanten und ausgeführten Arbeiten Karavans.

Eine Doppelseite des Katalogs zeigt die verstreut in flache Dünen gebaute Siedlung Tel Aviv in den zwanziger Jahren; vor dem Hintergrund des Meeres sehen die Häuserklötze und Mini-Villen aus wie ein gerade erschlossenes Ferienparadies: es ist diese „Kindheitserinnerung in einer neuen Stadt“, die Karavan geprägt hat. Mit seinem Negev- Monument in der Wüste bei Beer Sheba, dem ersten ganz großen Projekt, zeigte sich Dani Karavan (damals Anfang dreißig) als Meister in der Konzeption des phantastischen Platzes, der imaginären Siedlung, in der niemand wohnt, die aber vielfältig zu begehen ist: ein geborstenes Betonensemble mit Turm, Kuppel, geschwungenen Mauern und welligen Erhebungen. In der Stätte, die ein Denkmal darstellt für die Soldaten der Palmach-Brigade, die 1947 die ägyptische Offensive im Negev aufhielten, ist ein erstaunlicher Zusammenfall abstrakter Formen (von Arp bis Aalto) mit kultischen Elementen, ein Hauch von Stonehendge. Natürlich ist das Negev- Monument ein quasi-religiöser Ort; dennoch ist es kein Mal bombastischer Repräsentation. Karavans Arbeit richtet sich an das Individuum, nicht an ein als unterworfen gedachtes Kollektiv. Karavans Plätze — an Mittelachsen orientiert, aber im Ganzen nicht symmetrisch — sind in der Regel begehbar.

Das gilt auch für das vom Auswärtigen Amt bestellte, aber nicht bezahlte Werk Karavans für den katalanischen Grenzort Port Bou, ein an einer imposant geschwungenen Bucht, von felsigen Erhebungen eingeschlossenes Stadt-Dorf, in dem sich schon Mitte der siebziger Jahre reisende Jugendliche fast sämtlicher europäischer Sprachen sammelten, die abseits vom Flugtourismus am Strand schliefen und in den die Bucht nördlich begrenzenden Felsen hausten; einige wußten, daß dies der Todesort Walter Benjamins war, anderen war das egal. Über dem Ort thront der gigantische Bahnhof, errichtet von Gustave Eiffel.

Dani Karavans Mahnmal für Walter Benjamin (1892-1940), wie es geplant ist, ordnet sich dem Friedhof zu, der an der Südseite der Bucht gerade jenseits des Ortes erhöht liegt. Es ist eine in steilem Winkel durch den bewachsenen Hang führende Stiege, die über einen Teil der Strecke durchs Erdreich geführt wird, die Wände der Konstruktion aus rostigem Stahl, wie Richard Serra es verwendet. In einem überdachten Abschnitt der Stiege (im Maßstab 1:1) von gut neun Metern Länge, wie es im Museum Ludwig (in der Horizontalen) ausgestellt und begehbar ist, ahnt man schon, worauf Karavan hinaus will: in den Abschluß des kargen Tunnels, den kaum zwei Personen nebeneinander begehen können, ist ein Foto jener Stelle montiert, wo das Meer auf einen Felsen läuft, wirbelnd und schäumend. Ein schlichter, aber nicht im geringsten melodramatischer Verweis auf die Situation Benjamins, der in Port Bou zwar eine Nacht hatte bleiben dürfen, aber den nächsten Tag zurückgeschickt worden wäre nach Frankreich, letztlich den Häschern in die Klauen. Karavan macht Benjamins Entscheidung für den Tod fühlbar als Blick in etwas Unbegreifliches und zugleich Unausweichliches; oder wahrscheinlicher, demonstriert Karavan die Unausweichlichkeit einer Entscheidung, ohne sie tatsächlich biographisch zu deuten. „Es ist unmöglich, Aggressionen durch Aggressionen zu repräsentieren“, sagt Karavan. uez

Dani Karavan. Museum Ludwig, Köln, bis zum 23.August 1992. Katalog (verlegt bei Prestel, broschiert), im Museum.