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Ein Mann für das wahre Leben

■ Am Sonntag schließt die diesjährige Freie Berliner Kunstausstellung. 2.068 Künstler und Künstlerinnen haben ihre Werke gezeigt. Einer, der schon immer dabei war, ist Dietmar Lemcke, Hochschulprofessor für Malerei

Wo gibts denn das, wer malt denn noch die Rüben mit 'ner Paprika, die Gravensteiner vor tintenschwarzem Hintergrund, die Quitten, Mirabellen vor Stratosphärenblau? Wer malt die Landschaft wie vorm Sündenfall? Fußmann oder Lemcke? Lemcke! Lemcke, der Zikadenfreund und Oberhedonist. Malprofessor, Botschafter des Künstlerbundes und ... Berliner.

Was sind die guten Sachen von Berlin? Hardtkes Blutwurst, Ruhnkes Brillen, Leydickes Likör und: Lemckes Bilder. Leute, sagen sie, Leute, trinkt, eßt, seid fröhlich auf der Erd', glaubt nur nicht, daß es besser werd'. Dorade rosa, Thunfisch hell und Stopfgans dunkel, frisch auf den Tisch dank Lemcke. Fast schon ist er so was wie 'ne Maßeinheit fürs Wohlbefinden. 10 Grad auf der Lemcke-Skala ist das Maximum. Hier ist die Sinnenfreude konserviert. Und beliebt wie nur noch Timm, der Mann vom Kranzlereck, Kalendermaler und Charmeur, pinselt Lemcke sich ins Wilmersdorfer Witwenherz. Einfach süß wie Möhrings Obsttorteletts ist jedes Bild von ihm. Wie apollinisch, haucht die Prokuristengattin Beier, die sich den Sinn fürs Schöne, Wahre, Gute noch erhalten hat. Ein echter Lemcke wärmt das Gemüt: Sein Pinsel glutet, schwärmt Herr Geitel, der Katalogwortschreiber. Ein Blick genügt, und schon kommt man ohne Heizung aus. Lemcke, schreibt Herr Geitel weiter, Lemcke hat im Blut den Sonntag. Aber Sonntagsmaler ist er ganz und gar nicht. Er ist ein Schönheitsangestellter, der's genau nimmt mit dem Dienst am Pinsel. Montag bis Freitag von acht bis vier, Mittagspause eingerechnet.

Provence, das ist für Lemcke 'ne große Farbansammlung, die's hübsch zu sortieren gilt. Da steht er nun auf seinem Malerhügel, Genußmensch Lemcke, und gibt der Leinwand Öl von Schmincke. Zitronengelb, Sienarot und Lichttürkis mag sie besonders gern. Ach, vorbei ist die Zeit der Baskenmützen, die mit den Skizzenblöcken zum Victoireberg zogen: Heiliger Cezanne! Erhöre uns, gib unseren Augen Kraft! Statt dessen sitzt die Jugend vorm TV und liebt den Terminator. Verlaßt Eure Verliese, hinaus ins Helle, Bleichgesichter. Seht Lemcke an. Bild und Mann sind knusprig wie ein Sonntagsbraten. Einheit zwischen Werk und Mensch — das soll so sein, so sagt uns die Theorie des Schönen. In Lemcke gipfelt's apotheotisch. Kraft durch Freude. Ihm, meint Seher Geitel, lächeln Rochen, und die Muränen verschlingen sich fröhlich im Duett.

Was bleibt der Kreatur denn anderes übrig, als Lemckes Frohsinn tapfer zu ertragen. Ein Bild von Lemcke, das meinen auch die vielen Käufer, ist Medizin gegen's Einerlei im Innen- und im Außendienst. Lemcke, das ist der Mann fürs wahre Leben.

Fromage, vin rouge, Soleil, amour — oh làlà, oh làlà! Andreas Seltzer

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