Instant-Welt zu zweit

■ Die FU-Studentenbühne zeigt »Mercedes« von Thomas Brasch

Zwei Menschen — irgendwann und irgendwo. Einfach in eine Landschaft, einen Raum gestellt. Ohne verbale Begründung. Namen sind unwichtig, austauschbar. Jeder von uns könnte es sein. Das Mädchen: jung, voller Wünsche und Hoffnungen, bereit, ihre Phantasie einzusetzen gegen ein Leben, das real wenig zu bieten hat. Der Junge, rausgeflogen aus seiner Firma, vor die Tür gesetzt von seinem Vater, verbittert und resigniert.

Sie treffen aufeinander und beginnen, miteinander zu reden, einfach weil niemand sonst da ist und weil es nichts anderes zu tun gibt. Die Worte scheinen alle aneinander zu hängen; wie eine dünne wässrige Suppe fließen sie aus den Figuren heraus, erst nach und nach ensteht ein Gebilde von hochstilisierter Sprache, in das der Zuschauer eindringt, je mehr er das, was er sieht, mit eigenen Erlebnissen und Erfahrungen verbindet. In einem Wechselspiel von Aufeinanderzugehen und Sich-gegenseitig-Wegstoßen, von manchmal liebevoller Nähe und dann wieder haßerfüllter Distanz bauen sich Oi und Sakko eine Welt auf, in der sie kurzzeitig zusammen überleben können, auch wenn sie gegenüber der wirklichen keinen Bestand hat.

Die Studentenbühne der FU zeigt »Mercedes« von Thomas Brasch (geschrieben 1983) in einer Inszenierung, die unter den Off-Theatern ihresgleichen sucht. Was man so oft auf dem Theater — auch im professionellen Bereich — vermißt, ist hier gelungen: Der Text ist in theatralische Vorgänge umgesetzt. Minutiös werden Figurenbeziehungen aufgebaut. Die Darsteller (Zoe Hermmann in der Rolle der Oi und Rene Wolf als Sakko) erspielen die Geschichte. Offensichtlich sind es wirkliche schauspielerische Begabungen, die auf der Bühne agieren und genauso klar ablesbar sind sie von der Regie (Lars-Ole Walburg) geführt.

Der Bühnenraum wird durch drei Wände in ekligem Hellrosa begrenzt. An der hinteren Wand steht ein etwas deformierter Rollstuhl, der im Laufe der Inszenierung als Auto benutzt wird, aber auch andere Spielrequisiten materialisiert. An der Decke eine Seilwinde mit einem Schiffstau, das ebenfalls für alle möglichen Spielereien benutzt werden kann. Das Spiel beginnt schon, während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen. Pantomimisch bewegen sich die Schauspieler und deuten, sozusagen im kleinen, an, was sich in den nächsten eineinhalb Stunden abspielen wird.

Ein weiterer Vorzug der Inszenierung liegt in der Einbeziehung der Zuschauer. Bereits in dem Anfangsmonolog des Mädchens, in dem sie sich gegen bestehende Regeln auflehnt und ihnen den Kampf ansagt, spricht sie das Publikum direkt an, läßt sie uns keine Möglichkeit, uns zu entziehen. Sie verlangt regelrecht, daß wir in die Geschichte einsteigen. Mit derselben Intensität wird sie Sakko dazu bringen, ihr zuzuhören und auf ihr Phantasiespiel einzugehen. Zoe Herrmann gelingt es, ihren Partner mitzunehmen.

Das, was im Stück vorgegeben ist, findet seine Entsprechung im Spiel. Dieses lebhafte unbekümmerte Mädchen, das ihre eigene Traurigkeit wegwischen kann wie einen Schatten, erreicht, daß sich die Resignation von Sakko, eine verkrampfte störrische Zugeknöpftheit in Lockerheit und Bewegung auflöst. In dem Moment, wo sie herausbekommen hat, was sein sehnlichster Wunsch ist, nämlich einen Mercedes zu besitzen, hat sie ihn an der Angel. Sie steht dicht vor ihm, sie hält seinen Blick so lange fest, bis auch er den Mercedes vor sich sieht und mit ihr einsteigt, um loszufahren. Was die beiden mit dem Rollstuhl anstellen, ist fast schon artistisch. Dabei sind die äußeren Vorgänge niemals angeschafft, sondern immer klar nachvollziehbar. Nicht einen Moment fällt die Spannung ab. Bis zur letzten Szene, wenn Sakko endgültig am Ende ist und auch Oi eingesehen hat, daß sie keine Chance haben, sieht man fast aufgeregt zu. Ganz hinten am Ende der Bühne sitzt sie. Zusammengekauert auf dem Boden, spielt sie mit nichts als ihren Zeigefingern ein Selbstgespräch. »Habeintotgemacht/Jetzthatershintersich/ Heuldochnich« Sibylle Burkert

Weitere Vorstellungen bis zum 25. Juli, täglich außer dienstags, jeweils 20 Uhr; Spielort: Modernes Theater, Merseburger Straße 3, Schöneberg