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QUERSPALTEKachelmann, geh du voran!

■ Der neue Wettermensch im ARD als journalistischer Hoffnungsträger

Warum findet die Polizei eigentlich heutzutage keine Toten mehr? Tut sie doch? Tut sie nicht, denn wenn sie welche findet, „findet“ sie sie „auf“. Auch können Temperaturen hierzulande kaum noch steigen, sie „steigen“ nämlich nur noch „an“. Banal? Möglich, aber beispielhaft. Nichts leichter, als den Schwulst noch zu verbreitern: Nehmen wir die Nachricht, daß es womöglich heute noch mal regnet. Schon mal so gehört? Im Sprach-Reich „allmählich aufkommender und abklingender Niederschlagsneigung“ eher nicht. So gesehen könnte der größte journalistische Fortschritt nach einer knappen Woche Früh-TV im Ersten Jörg Kachelmann heißen: der neue Wettermensch, der einfach sagt, worauf es ankommt — wie warm ich mich anziehen muß, wenn ich aus dem Haus gehe.

Mögen andere ihm folgen. Luft abzulassen gäbe es genug: Kein Sportreporter mehr, der nicht mindestens einmal pro Interview seinen Gegenüber fragt, wie er denn „mental“ so drauf ist; keine Zahlen mehr aus Bonn, die nicht als „Eckdaten“ daherkommen; nirgendwo ein schlichtes Sperrgitter, nein bestimmt wird wieder irgendwas „hermetisch abgeriegelt“, „massiv“, „entschieden“ und „mit Nachdruck“. „Wir haben einen Wein getrunken, ein bißchen gelacht und ein bißchen geweint.“ Allein dieser Satz von Gerd Ruge aus Moskau, live in der Tagesschau zum Ende des Putsches, rechtfertigt all die Preise, die er seitdem bekommen hat. Man stelle sich vor, er hätte von „einer überwiegend positiven Bilanz der Beobachter nach den jüngsten Ereignissen“ gesprochen, schließe die Augen und bedenke den Unterschied. Nein, Nebelwerfer gibt es genug: keine Keksfabrik mehr ohne geschniegelte PR-Strategen — jene, die nichts verändern, ohne zu „entzerren“, und nichts erhalten, ohne zu „stabilisieren“. Die Dinge gerade nicht beim Namen zu nennen, das soll deren Geschäft bleiben. Und sie machen es ja auch nicht schlecht. Erfolgreich haben sie nun auch Honeckers „Rückführung“ erfunden und wollen das Asylrecht „ergänzen“. Dabei steht er weder gebrechlich am Zebrastreifen, noch ist das Grundgesetz ein Lückenwerk. Es geht um Auslieferung und um Grundgesetzänderung. Alles andere ist Budenzauber. Sprachdampf abzulassen, anstatt ihn weiter umzurühren, das ist journalistische Dienstleistung.

Trainer Sepp Herberger soll seinen Jungs noch gesagt haben, sie müßten stürmen. Von Franz Beckenbauer ist die Order überliefert, „dem Spiel im offensiven Bereich mehr Impulse zu verleihen“. Er war schließlich technischer Direktor. Das muß es sein. Im Sport, beim Wetterdienst und anderswo. Klaus Scherer

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