: Der Laubenpieper-Aufstand
■ Rund 20.000 Berliner Kleingartenparzellen sind vom Flächennutzungsplan bedroht/ Die Laubenpieper sollen auf weit entfernte Stadtgüter in der Mark Brandenburg umziehen
Vielleicht wird es ja doch nicht wahr, was auf einem der weißen Bettücher am Gartenzaun wie eine Gewißheit geschrieben steht: »Hassemer ruiniert Blankenburg«. Vielleicht kommt einer wie dieser Ben Wargin, der überall Bäume pflanzt, und rettet als einflußreicher Unterstützer die vielen grünen Gärten mit den liebevoll gepflegten Hecken, Sträuchern und Obstgehölzen an der S-Bahn. Das hoffen jedenfalls die Laubenpieper in Blankenburg, die seit dem Bekanntwerden erster Überlegungen zur Bebauung ihrer Oase mit Wohnungen verzweifelt demonstrieren und protestieren. Möglicherweise sieht der Stadtentwicklungssenator im fernen Kreuzberg aber rechtzeitig ein, wie aberwitzig es wäre, dem drängenden Wohnungsbedarf der Stadt auch die bundesweit größte zusammenhängende Kleingartenanlage zu opfern. Andernfalls müßte Volker Hassemer die Gartenfreunde und Siedler von den 1.374 Parzellen schon »raustragen lassen«, so deren Sprecherin Hannelore Lehmann. »Wir bleiben.«
Zum Aufstand animiert fühlen sich die Blankenburger durch Absichten zum Bau einer »Park-Stadt« für 100.000 Einwohner im engeren Einzugsbereich der S-Bahn zwischen Pankow-Heinersdorf und Buch. Wo jetzt auf ehemaligem Rieselland Äpfel und Kirschen heranreifen, sollen in den nächsten 15 Jahren 35.000 Wohnungen und 29.000 Arbeitsplätze entstehen. Doch nicht nur im Nordosten der Hauptstadt sind die Laubenpieper-Oasen längst als Bauclaims für Investoren absteckt. Wenn der zum Jahresende angekündigte Entwurf für einen neuen gesamtstädtischen Flächennutzungsplan vorliegt, werden voraussichtlich in einer Reihe von Bezirken die Kleingärtner auf die Barrikaden gehen, da ihr Grund im Planwerk zur Disposition gestellt ist.
Ein »räumliches Strukturkonzept« der Hassemer-Verwaltung für das Berlin von morgen läßt bereits erahnen, welches Schicksal etlichen der 84.000 Kleingarten-Parzellen im Stadtgebiet droht. Der Vorsitzende des Landesverbandes der Gartenfreunde, Jürgen Hurt: »Wenn das Konzept so umgesetzt werden würde, wären mehr als 20.000 Gärten in ganz Berlin ein für allemal weg. Wir richten uns auf eine sehr lange kämpferische Auseinandersetzung ein.« Von der Räumung bedroht sind schwerpunktmäßig Parzellen im Ostteil der Stadt. Einerseits befinden sich diese Kleingärten auf den insgesamt neun für Großsiedlungen auserwählten Standorten in Buch, Karow/Blankenburg, Buchholz, Kaulsdorf/Mahlsdorf, Altglienicke sowie Biesdorf-Süd und Marzahn. Teils liegen sie auch an Zentren für künftige Dienstleistungsarbeitsplätze oder blockieren Flächen für neue Bahntrassen und Autobahnzubringer. Sowohl im Osten wie im Westen dürfen sich Kleingärtner kaum eine Chance zum Weitermachen ausrechnen, so sie ihr Gemüse ausgerechnet an den Schnittpunkten der radialen S-, U- und Straßenbahnlinien weiter ernten wollen. Sämtliche Verkehrsknoten sind dem Strukturkonzept zufolge wegen ihrer Lage besonders für »publikums- und kommunikationsintensive« Dienstleistungen geeignet: »Zu diesen neuen Dienstleistungsstandorten gehören der Busbahnhof Charlottenburg ebenso wie beispielsweise Flächen nördlich des Bahnhofs Jungfernheide, am Gesundbrunnen, an der Eldenaer Straße, am Bahnhof Ostkreuz, im Bereich Ostbahnhof/Köpenicker Straße, an der Grenzallee, am Tempelhofer Damm und um das Schöneberger Kreuz.« Der für die Spreemetropole so typische Gürtel grüner Laubengrundstücke am S- Bahn-Ring — er weiche dem Beton uniformer Bürosilos.
Wie über sich selbst erschrocken, erwähnen die Raumplaner in ihrem Konzept zur Umkrempelung der Hauptstadt noch in einem Nebensatz die »wichtige Erholungsfunktion«, die Kleingärten für die Bewohner der Innenstadtquartiere haben. Aber vorne Ku'damm und hinten Ostsee, das geht nicht, wußte schon Tucholsky. Wegen des starken Gründefizits in hochverdichteten Quartieren wie Mitte, Schöneberg, Kreuzberg und Prenzlauer Berg — hier steht in weiten Teilen für jeden Einwohner weniger als 0,1 Quadratmeter Fläche in öffentlichen Grünanlagen zur Verfügung — möchten die Planer verlorengehende Gärten dennoch irgendwie ersetzen. Häufig könnten übergroße Parzellen geteilt werden, heißt es. Daneben wird erwogen, den heimatlos gewordenen Kleingärtnern Ersatzflächen auf den Stadtgut-Enklaven anzubieten.
Davon hält Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, wiederum »gar nichts«. Das eigene Stück Land an der S-Bahn, oft über Generationen hinweg gehegt und gepflegt, sei »kulturelle Tradition« der Spreeathener, nicht zu verpflanzen. Weiterer Einwand Bergers: »Man erzeugt zwangsläufig weitaus größere Verkehrsflüsse, wenn man die Kleingärtner aus der Stadt rausdrängt.« Die alternative Opposition vermißt die notwendigen rechtlichen Schritte zur Sicherung von Parzellen insbesondere im Ostteil. Stadtentwicklungssenator Hassemer wurde aufgefordert, per Bebauungsplan Flächen als Dauerkleingärten auszuweisen. Dann hätten private (Alt-)Eigentümer der Gartengrundstücke keine Handhabe mehr, Pachtverträge nach Ablauf der vereinbarten Nutzungsdauer zu kündigen, ergab ein von den Alternativen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten. Thomas Knauf
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