Du verdienst keine Gnade, Jesús!

Der kubanische Kulturminister verurteilt den Schriftsteller Jesús Diaz in einem Drohbrief zum Tode. Für Diaz heißt das: Exil  ■ Von Bert Hoffmann

Die Drohung hätte kaum brutaler formuliert sein können: „Dein Verbrechen ist schlimmer, als das der unwissenden Barbaren, die vor einigen Wochen vier gefesselte Männer niederschossen [und dafür hingerichtet wurden — d.Verf.]. Sie hatten keine Gnade verdient, aber Du verdienst sie noch weniger“, schreibt der kubanische Kulturminister Armando Hart an Jesús Diaz, den derzeit bedeutendsten Schriftsteller der Insel. „Zumindest rhetorisch ein potentielles Todesurteil“, wie Diaz den Schmähbrief für sich übersetzt. Obgleich der mit mehreren kubanischen Literaturpreisen ausgezeichnete Diaz keineswegs ins Exil gegangen ist, sondern zur Zeit ganz offiziell als kubanischer Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin lebt, ist an eine Rückkehr nun nicht mehr zu denken. Kuba frißt seine Revolutionäre. Und mit Jesús Diaz nun einen, der zur wohl wichtigsten Symbolfigur für die Forderung nach einer Reform der kubanischen Revolution von innen geworden war. Die briefliche Todesdrohung des Kulturministers jetzt ist ein Signal dafür, in welch drastischer Form auf Kuba der Spielraum für solche „intellektoide Launen“ — wie Castro derartige Gedanken nennt — weiter eingeschnürt wird.

Dabei ist Harts Schreiben, das Diaz nun mitsamt seiner Antwort in der FAZ vom 15.Juli 1992 und der spanischen Tageszeitung El Pais veröffentlichte, nie bei seinem Adressaten eingetroffen — weil es nie an ihn abgeschickt wurde. Harts am „10.März 1992, 34. Jahr der Revolution“ an „Senor Jesús Diaz, Europa“ geschriebener Brief zirkulierte ausschließlich in den höchsten Ebenen von Staat und Partei. Erst Monate später konnte ein Freund eine Fotokopie dieses absurden „Briefes“ an Jesús Diaz schicken.

Dann erst konnte Diaz lesen, was „eine Gewissenspflicht“ — womöglich eine in olivgrüner Uniform und mit grau gewordenem Vollbart? — den Kulturminister und altgedienten Revolutionär Hart an ihn schreiben ließ. „Du hast Deine Kultur verraten; Du bist den Weg der Illoyalität gegangen“, heißt es da unter anderem: „Die Gesetze sehen für Deine Niedertracht keine Todesstrafe vor; aber die Moral und die Ethik der kubanischen Kultur werden Dich noch härter strafen.“ Nach dieser unverhohlenen Drohung wird das Ende pathetisch: „Du hast Dich für ein Linsengericht verkauft, Jesús. Du müßtest eigentlich Judas heißen.“ Unterschrift: Armando Hart Dávalos.

Welche derart verabscheuungswürdige „Niedertracht“ hat der Schriftsteller begangen? 1941 in Havanna geboren, hat Jesús Diaz nach eigenem Bekunden „mein ganzes Leben, so gut oder so schlecht es war, dieser Revolution voll und ganz hingegeben“. Seit dem Untergrundkampf gegen Diktator Batista hat er für die kubanische Revolution gekämpft, mit zwanzig Jahren in den Escambray-Bergen mit der Waffe in der Hand, in der Folge auch ohne. Dabei kollidierte er allerdings immer wieder mit den Machthabenden, die „Revolution“ mit ihrer Allmacht und „Revolutionär“ mit einem Mangel an eigenem Denken gleichsetzten. Seit 1964 war Diaz Dozent für Philosophie an der Universität von Havanna — inzwischen ist die philosophische Fakultät aufgelöst und ihr Gebäude abgerissen worden. Er war einer der Herausgeber der Zeitschrift Pensamiento Critico — bis diese von Kulturminister Hart dichtgemacht wurde. Sein international bekanntester Roman „Die Initialien der Erde“ war zwölf Jahre lang verboten, bevor er auf Kuba erscheinen konnte (auf deutsch 1988 bei Piper). Und massiven Druck bekam Diaz zuletzt wegen der bissigen Filmsatire „Alicia im Dorf der Wunder“ zu spüren, für die er das Drehbuch schrieb. Nachdem „Alicias“ Premiere bei den Berliner Filmfestspielen im vergangenen Jahr internationales Aufsehen erregt und hervorragende Kritiken bekommen hatte, wurde der Film in Kuba zum „Fall“, der hohe politische Wellen schlug. „Alicia“ wurde zum größten Kulturskandal Kubas in den letzten Jahren. Die Macht gewann. Noch heute wird die kubanische Bevölkerung fürsorglich davor bewahrt, „Alicia“ sehen können zu müssen.

Auslöser für Harts furiosen Drohbrief war dann aber — auch wenn er dies nicht explizit nennt — eine Diskussions-Veranstaltung der Schweizer Wochenzeitung (WOZ) im Februar in Zürich, zu der Jesús Diaz eingeladen war. „Mit der gleichen Argumentation wie der Feind willst Du die Solidarität mit Kuba untergraben“, lautet das Urteil des kubanischen Kulturministers. Dabei steht Diaz gerade für den Versuch, die fatale Freund-Feind-Polarisierung „Fidel oder die Yankees“ zu durchbrechen: Er greift die „Sozialismus oder Tod“-Politik Castros als „unmoralisch“ an, weil sie „den Tod eines ganzen Volkes als mögliche Option proklamiert“, fordert aber gleichzeitig mit Vehemenz die „ebenso entschiedene Ablehnung der Blockadepolitik der USA gegen Kuba“. „Es sind Politikformen, die sich gegenseitig ergänzen und ein einziges mögliches Ende haben: den Tod“, so Diaz damals in Zürich. — „Die gleiche Argumentation wie der Feind“, schreibt Kulturminister Hart. Nicht einmal er selbst wird es glauben.

Jesús Diaz hatte, nachdem er die Kopie des nie geschickten „Briefes“ erhalten hatte, per diskretem Kurierdienst den Kulturminister um Klarstellung gebeten. Vergeblich. Wenn er nun den Brief und seine Antwort darauf in El Pais und FAZ öffentlich macht, dann tut er es, wie er an Hart schreibt, „auch mit einer unendlichen Traurigkeit. Denn ich bin davon überzeugt, daß die kubanische Revolution die größte Hoffnung Lateinamerikas seit der Unabhängigkeit war, und daß Kuba auch heute noch für viele von uns, die wir die uneingeschränkte Herrschaft des Kapitals über den Planeten und die Rückkehr der Insel zu dem schimpflichen, für uns so lange Zeit so demütigenden Status einer nordamerikanischen Halbkolonie nicht akzeptieren wollen, eine Art Illusion darstellt. (...) Sie bemühen sich vergeblich, mich als Pro-Imperialisten darzustellen, und übersehen dabei ein erschütterndes Paradox: Sie selbst sind diejenigen, die mit Ihrer Arroganz und Ihrem Starrsinn die kubanische Bevölkerung schließlich so in Armut und Verzweiflung treiben werden, daß sie, zumindest anfangs, eine neuerliche Beherrschung durch Nordamerika willkommen heißen wird.“