Gregor und die roten Nazis

■ „Havel statt Grass“: Das Ost-West-Tagebuch des „Super“-Kommentators Reginald Rudorf

Im sommerlichen Schweiß verliert man an manchen Tagen die Kontrolle über die Dinge, die man eigentlich tun möchte und verzettelt sich dann in Widerwärtigkeiten. Statt zum Baden zu gehen oder sich mit Freunden zu treffen, bleibt man plötzlich kleben am Schrei(b)tisch und liest in immer größer werdender masochistischer Wut ein feindliches Buch.

Der Feind heißt Reginald Rudorf. Bevor er in der BRD-Medienlandschaft allseits tätig wurde (Welt, FR, FAZ, Spiegel, Pardon, Bunte, Stern und Quick nennt stolz der Klappentext), bevor er 12 Jahre lang Bild- Kommentator wurde, bevor er schließlich am Ziel seiner Wünsche den Super-Lesern in 10 Zeilen die Welt erklärt, hat er in den 50er Jahren zwei Jahre lang im DDR-Knast gesessen. Davon lebt und zehrt der Feind auf den 437 Seiten seines Buches. „Reportagen 90/91 als Ost- West-Kontrast aus der PS-Perspektive“ sind hier versammelt.

Eine Art von on the road-Tagebuch gegen links also, doch in erster Linie geht es in „Havel statt Grass“ um Rudorfs „Denke“ zu den Themen der Zeit — Golfkrieg, Links-Rechts, Ost-West. Untertitel: „Von Waldheim bis Manhattan“ (mit Waldheim ist das gleichnamige Zuchthaus gemeint).

Wie die Welt ist und zu sein hat, erläutert der Rechtsautonome am liebsten gleichnishaft unter Verweisen auf den Nationalsozialismus, der bekanntlich nur etwa ein Zehntel so schlimm war wie die Herrschaft der asiatischen Horden im Osten: Nichts unterschied „den SS-Staat vom KGB-Staat außer der Zahl der Ermordeten, die bei Hitler bei fünf Millionen endete und bei Stalin die 50 Millionen weit übertraf“.

Rudorf hat aus der Geschichte gelernt, und ihr gedenkend, kämpft er weiter gegen das Böse, das vor allem „links“ noch droht und sich regt. Gegen eine etwas wahnhaft imaginierte linke Presse, gegen scheint's übermächtige Literaten, „die mit dem Stalinismus auf den Strich gingen“, gegen „DDR-Faschismus“, „rotlackierte DDR-Nazis“, „Castros kastrierte KZ-Insel“, Ausländer, die die schöne West-Demokratie „kriminell überfremden“, das „psychologische KZ des Marxismus-Leninismus“ und eine „international verzweigte Abteilung von Menschenmüll“ = „Skinheads“ zieht Rudorf mutig zu Felde, nachdem er mit seinem Sohn Tilly, siebzehn, die USA bereist hat.

Mächtiger als die Reste des „roten Reptils“ allerdings sind die Kräfte des Guten: Amerika —„ „alles perfekt“. Die glorreichen Siedler, „die dieses Land verwüstet antrafen und erst durch ihr Tun kultivierten“, haben saubere Arbeit geleistet. Amerikaner benutzen das Auto „als angenehmes Fortbewegungsmittel in einer im freundschaftlichen Koop verbundenen Miteinandergesellschaft“, das ist schön, ein wenig utopisch fast und mag nur möglich geworden sein durch das segensreiche Wirken des CIA, der „forschte und horchte, um die freie Welt vor dem Zugriff des Terrors zu feien“. Nicht nur in Amerika, selbst in den befreiten FNL, in denen früher die „erbarmungslose Einsamkeit eines vermufften Nischenstaates“ geherrscht hatte, feiert das Gute seinen Sieg: „Von den Balkonen winken fröhliche Menschen“, die selten nur noch im „psychologischen KZ des Marxismus-Leninismus“ befangen herummmeckern und huldreich von Herrn Rudorf belehrt werden. Der weiß es besser und nimmt den Vorwurf der Besserwisserei eher als Kompliment: „Unser besseres Wissen offenbart ihre (Ostler) Rückständigkeit. Das Besserwissen ihre Armseligkeit.“ So ist es eben.

Rudorf weiß es nicht nur gut und besser; er ist auch Literat. Rundum gelungen (deshalb ist das Buch auch im „rundy-Verlag“, seinem Eigenverlag, erschienen) sind die Überschriften, die er seinen Kapiteln voranstellt: Zuweilen erinnern sie kindlich liebenswert — „Pinke Pinke an der Panke“ — an Sinnsprüche, die katholische Eltern ihren Kindern einbläuen („Piep, piep piep, wir haben uns alle lieb“), zuweilen verweisen sie flott auf die schlagende Verbindung zwischen herrlichen Kinderbüchern und volksnahen Headlines — „Gregor und die roten Nazis“. Des öfteren verraten sie auch den Karl- May-Fan: „Durch die Schluchten des Wahnsinns“. Um seinen Golfkriegsreflexionen (die im übrigen denen von Broder oder Cora Stephan brüderlich ähneln) größere Autorität zu verleihen, holt sich Rudorf beim großen Nationalautoren Rat: „Als der Golfkrieg begann, nahm ich Karl Mays Band 3, ,Von Bagdad nach Istambul‘, zur Hand.

Die orientalische Reiseerzählung fasziniert durch eine psychologische Einfühlsamkeit in die von Fehden zerrissene Lebensweise der Araber. ,... er lebt mit aller Welt in Streit und Unfrieden‘“, weiß Karl May. Rudorf stimmt begeistert zu.

Der Kanzler lobt die Auswahl

Rudorf hat noch mehr „auf der Pfanne“. Sprachkritisch und mit scharfer „Denke“ hat er herausgefunden, um welche vollfaschistische „geniale Zeile“ Goebbels Fritz Teufel beneidet hätte: „Unter den Talaren, der Muff von hundert Jahren“ (Tausend Jahre, Reginald!). „Uschi Obermaier, das Liebchen der Kommunarden“, hat er als Nutte enttarnt und auch „Rainer Langhans, der die ausdruckslose Beengtheit seines entleerten Gesichts von haarsträubendem Wildwuchs zuwuchern ließ“, ist dem Meisterpsychologen kein Rätsel. Klar, daß die „drogensüchtigen Pathologen“ Langhans und Kunzelmann „impotent“ waren. „Der ,Aufbruch aus der erstarrenden Gesellschaft‘ als Notsignal der Impotenz?“ Doch die „blassen Brillenemanzen“ scheinen nicht weniger schuld gewesen zu sein. Fettgedruckt, zum Merken, steht jedenfalls die Erkenntnis „daß sich stets jene Damen für's Abtreiben empfehlen, die kaum einer anfassen würde“.

Gern möcht man als „ewig Zukurzgekommener“ mehr noch erzählen von dem feisten Feind, der in seinem Tagebuch vom 13.Juli 91 jubelt „Die erste von 13 Bezirksstädten der Ex-DDR russenfrei“, der ein paar Tage später im Springerhaus „am Bufett zwischen Helmut Kohl und Hans-Jochen Vogel“ steht („der Kanzler lobt die Auswahl — ich bejahe“), der am „21. Juno 91“ ein „gutes Gespräch mit Heino und Köhnlechner“ führte („Hervorragender Mann“), und durchaus einem „gepflegten Rock“ wie weiland Erich Honecker nicht abgeneigt ist, denn auch „Rock ist ein Leistungsprodukt, kein akustischer Abfall aus der Dreckecke der Gesellschaft“ „und genau das, dieses Made in Capitalism, paßt nicht ins Weltbild der linken Leiermänner“. „Zukurzgekommen“, „begabungslos“, „faul und sonstwie frustriert“, „schlecht gelaunt“, „impotent“ und „drogensüchtig“, mit dem linken „Credo“ und „Motto: Führer befiehl, wir folgen dir“, läßt der Leser ab von dem Büchlein, das für 32,80 DM im rundy Verlag erschienen ist. Detlev Kuhlbrodt