Die Tür geht einen Spalt weit auf

■ Bundesregierung will „angemessenen Anteil“ bosnischer Flüchtlinge aufnehmen/ Visumzwang soll bleiben

Berlin (taz) — Nachdem die Lage der bosnischen Kriegsflüchtlinge immer verzweifelter wird, hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, einen „angemessenen Anteil“ von Flüchtlingen aus dieser Region aufzunehmen.

Bund und Länder einigten sich gestern darauf, ein Drittel der Flüchtlinge einreisen zu lassen, die an der Grenze des ehemaligen Jugoslawien auf die Ausreise warten. Dies teilte der Vorsitzende der Bundesinnenministerkonferenz, der saarländische Innenminister Friedel Läpple, mit. Nach Angaben des schleswig-holsteinischen Innenministeriums ist dabei die Zahl von 5.000 Menschen im Gespräch.

Wie Regierungssprecher Dieter Vogel erklärte, sollen vor allem Frauen und Kinder in die Bundesrepublik kommen können. Am Visumzwang für bosnische Flüchtlinge will die Bundesregierung jedoch vorläufig festhalten. Zudem sollen auch andere EG-Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen bewegt werden: Bundeskanzler Kohl forderte gestern eine „europäische Aktion der Mitmenschlichkeit“. Außenminister Klaus Kinkel (FDP) erörterte die Flüchtlingsfrage gestern beim Europäischen Rat in Brüssel.

Das Bundesinnenministerium führte gestern mit den Bundesländern Gespräche über die Aufnahme von Flüchtlingen. Mehrere Länder, darunter Brandenburg, Berlin und das Saarland, erklärten sich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, solange der Krieg andauert. Der Saarländische SPD-Vorsitzende Reinhart Klimmt erklärte, zur Zeit sei die Unterbringung von 100 bis 200 Menschen möglich. Voraussetzung sei allerdings, daß die Bundesregierung Ausnahme-Visa erteile und die dem Bürgerkrieg Entkommenen aus dem Asylverfahren ausklammere.

Ein Flüchtlingsstatus, wie der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor vorgeschlagen hatte, ist nicht vorgesehen. „Wir brauchen keinen Flüchtlingsstatus", erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gegenüber der taz. Die Landesregierungen könnten nach Artikel 32 des Ausländergesetzes für bestimmte Personengruppen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilen. Bei der Entscheidung, wer in der BRD Zuflucht findet, soll nach Angaben des Bundesinnenministeriums das Deutsche Rote Kreuz Hilfestellung leisten, indem es Listen erstellt. Weiter hieß es, die Bosnier, die am Samstag von Kroatien nach Österreich einreisen konnten, seien dort untergekommen. Die Bundesregierung hatte sich bereiterklärt, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen.

Die Initiative einiger Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, 60 Waisenkinder aus Sarajewo zu evakuieren, scheiterte bislang daran, daß UNO-Kräfte vor Ort ihren Transport zum Flughafen für zu gefährlich einschätzen. Das Land Sachsen-Anhalt will die Kinder auf eigene Kosten betreuen. Sozialminister Werner Schreiber sagte im Saarländischen Rundfunk, die Leiden dieser Kinder machten es „erforderlich, ein Zeichen zu setzen, um dem Flüchtlingselend zu begegnen und klarzumachen, daß die westlichen Industrienationen hier eine Verpflichtung haben“.

Die Aussichten, die Kinder aus der umkämpften Stadt ausfliegen zu können, sanken gestern weiter, da die Luftbrücke für Sarajewo vorübergehend eingestellt werden mußte. Das UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) werde zusammen mit den UNO-Schutztruppen entscheiden, ob und wie die Hilfsaktion fortgesetzt werden könne, teilte ein UNHCR-Sprecher in Genf mit.

Der französischen Hilfsorganisation „Equilibre“ gelang es, auf dem Landweg 100 Waisenkinder aus Sarajewo herauszuholen. Unter dem Schutz von UN-Panzerfahrzeugen gelangten sie mit Bussen nach Split, von wo aus sie am Sonntag nach Mailand weiterflogen. „Es war kompliziert und gefährlich, aber es ist gelungen“, erklärte der Sprecher des Bonner UNHCR-Büros, Stefan Terlöken, gegenüber der taz. Nach seinen Informationen gibt es in Sarajewo 200 schwerkranke Kinder, die bisher noch nicht evakuiert werden konnten. Sie wurden von einer medizinischen Kommission von WHO und UNHCR untersucht und auf eine Dringlichkeitsliste gesetzt. „Das sind bittere Entscheidungen, wahrscheinlich gibt es noch tausend andere, aber eine so umfangreiche Evakuierung ist gegenwärtig nicht zu bewerkstelligen“, so Terlöken. Einige Angebote, die Kinder in der Bundesrepublik unterzubringen, liegen bereits vor. Dorothee Winden