»Wieviel Millimeter hat die Knarre?«

■ 484 Waffenscheine sind seit Oktober 1990 ausgestellt worden — 20 an Privatpersonen/ In Waffenläden verlangen vor allem Männer Schießeisen, Frauen wollen lieber Tränengas/ Verweigern können Waffenhändler nur scharfe Waffen

Berlin. »Wieviel Millimeter hat die?« fragt der 32jährige Martin und zeigt auf ein Repetiergewehr. Es ist eine Schreckschußwaffe, die alle, die über 18 Jahre alt sind, bei den Berliner Waffenhändlern erstehen können. Einer besonderen Erlaubnis bedarf es dazu nicht. Martin ist ein Kerl wie ein Baum und trägt ein T-Shirt, daß seine muskulösen Arme bestens zur Geltung bringt. Eine Tätowierung mit dem Titel »Force« prangt auf dem rechten Oberarm. Er glaubt, sich vor Ausländern schützen zu müssen, denn zweimal sei er überfallen worden. Wegen seiner kurzen Haare werde er oft für einen »Nazi« gehalten: »Aber ich bleibe lieber im Land und wehre mich.« Und überhaupt seien ja nicht alle Ausländer so, nur neunzig Prozent.

Martin gehört in den Augen der Waffenhändler eher zu der selteneren Spezie. Die Angst und das Bedürfnis, sich im Notfall wehren zu können, seien aber häufig »glaubhafte Motive«. Dabei beruhe das subjektive Gefühl der Bedrohung meist nicht auf den eigenen schlechten Erfahrungen; Schreckensmeldungen in der Presse und Hörensagen lösten die Angst aus: »Einem passiert etwas, aber tausend Leute hören es«, meint der Waffenhändler Günter Wolf.

Die Fahrten mit der S-Bahn in die Randbezirke Berlins stünden dabei ganz oben auf der Sorgenliste, aber auch Nachtschichtarbeiter, Bus- und Taxifahrer würden immer häufiger kommen. »Männer sind immer noch der Hauptkundenstamm«, sagt der Waffenhändler Ralf Wodarz. Meist fragten Frauen nur nach Tränengas, allein der Anblick der Pistole oder des Gewehrs würde sie ängstigen; Männer hingegen hätten eine Beziehung zur Waffe.

»85 Jahre ist sie und hat ein bißchen Angst, wenn sie auf die Straße geht«, so beschreibt der Waffenhändler Ralf Wodarz seine älteste Kundin. Die alte Dame habe sich gefürchtet, wenn sie mit ihrem Dackel im Neuköllner Körnerpark Gassi ging. Damit sie nicht in der Wohnung verkümmere, kaufte sie ein Tränengasspray. Und jetzt traue sich die Frau auch noch spätabends vor die Tür.

Nicht immer sind es so harmlose Nachfragen, die die Waffenhändler befriedigen müssen. In diesem Geschäft befinde man sich manchmal in unangenehmer Gesellschaft, sagt Ralf Wodarz. Die Jugendbanden vom Kiez würden hin und wieder hereinschauen und nach Schreckschußpistolen und Gaswaffen fragen. Wenn er sie frage, was sie damit überhaupt wollten, bekommt er oft die Antwort, in der Silvesternacht sollten Raketen damit abgeschossen werden. Aber wer glaube das schon, wenn sich das Ende April häuft und der 1. Mai bevorsteht. Grundsätzlich verweigern könne er den Verkauf nur, wenn sie noch keine achtzehn Jahre sind. Deswegen hat er sich seine Strategie zurechtgelegt: »Wenn die ganz harten Jungs kommen, dann haben wir das Modell, das sie verlangen, eben nicht.« Auch der Waffenhändler Dieter Wiedenhoff kennt seine Pappenheimer: »Die lungern vor dem Laden herum, versuchen Erwachsene zu bestechen.«

Das Sortiment der Waffenhändler ist reichhaltig oder armselig, ganz wie man will. Vom Tränengas über Elektrostäbe bis zu scharfen Waffen reicht die Palette. An die scharfen Waffen kommt auf legalem Weg nur, wer einen erfolgreichen Antrag auf eine Waffenbesitzkarte oder einen Waffenschein gestellt hat.

Das Bundeswaffenrecht, das seit dem 3. Oktober 1990 auch in Berlin gilt, macht jetzt zwar privaten Waffenbesitz möglich, aber das werde immer noch streng geprüft, sagt Wulff Hagedorn von der Polizeidienstelle für waffenrechtliche Angelegenheiten. 484 Waffenscheine habe man seit dem 3. Oktober 1990 ausgestellt, davon seien aber 460 an das Wachpersonal gegangen, 20 an Privatpersonen und 4 an Sammler. »95 Prozent aller Anträge werden abgelehnt.«

Um eine Grauzone handele es sich, was an illegalen scharfen Waffen im Umlauf sei. Schätzungen seien hier schlicht unmöglich, erklärt Wulf Hagedorn. Der Händler Reinhard Fischer meint dazu lakonisch: »Wer damals eine scharfe Waffe wollte, bekam sie, und heute ist das nicht anders.« Ralf Knüfer