Im Baltikum gilt die Todesstrafe

Stockholm (AFP/taz) — Die internationale Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) hat gestern an die Führung von Estland appelliert, einen zum Tode verurteilten Mörder zu begnadigen. Dieser hatte im vergangenen Jahr einen Taxifahrer und einen Soldaten getötet. Ein Gnadengesuch des Verurteilten selbst hatte das Gericht abgelehnt.

Dies ist nur einer von etwa zehn Fällen im Baltikum, bei denen ai in der letzten Zeit tätig wurde. Denn auch seit der Selbständigkeit wurden in Lettland und Estland Todesstrafen verhängt und Hinrichtungen ausgeführt. Nach Auskunft des lettischen obersten Staatsanwalts Janis Skrastin wurden allein in Lettland seit der Unabhängigkeit fünf bis acht Personen hingerichtet. In Estland, so Hein Kask aus dem Justizministerium, sei „mindestens eine Person hingerichtet worden“. Aus Litauen sind allerdings bisher keine derartigen Fälle bekannt. Hier beschäftigt sich gerade eine Justizkommission damit, das Strafgesetz zu überarbeiten. Dabei soll möglicherweise die bisher noch vorgesehene Todesstrafe abgeschafft werden.

Anders in Estland. Hier soll in dem neuen, ab Juni dieses Jahres geltenden, Strafgesetzbuch die Todesstrafe ausdrücklich beibehalten werden: Für Mord und die von einigen JuristInnen als „zuwenig konkret“ kritisierte Straftat „Terrorismus“.

„Es gibt“, so Kask, „bisher keinerlei Pläne, die Todesstrafe abzuschaffen.“ Denn das wäre gegen eine breite Volksmeinung. Ähnlich argumentiert man in Lettland. Im ab Januar 1993 geltenden neuen Strafgesetzbuch soll ebenfalls die Todesstrafe beibehalten werden. Kristine Cakste von der Botschaft Lettlands in Stockholm: „Die wachsende Verbrecherrate hat zu dieser Meinung geführt. Die Strafe soll zur Abschreckung dienen, bis unsere Gesellschaft zivilisierter ist, wie wir in Lettland sagen.“

Eine Argumentation, die von amnesty international scharf kritisiert wird. Schon im Mai hatte sich die Organisation für die Begnadigung oder zumindest Verschiebung der Hinrichtung von Aleksej Volkov eingesetzt. Noch während die Kampagne lief, war Volkov jedoch hingerichtet worden. rw