: Die Hanseaten-Grillstationen
■ Auch die Zuhausegebliebenen können sich in diesem Sommer eine dunkle Haut leisten/Nur an wenigen Sonneplätzen trauen sich die Hamburger, die Genitalien zu entblößen...
können sich in diesem Sommer eine dunkle Haut leisten / Nur an wenigen Sonnenplätzen trauen sich die Hamburger, die Genitalien zu entblößen / Die Avantgarde aber bleibt blaß
Die Natur hat einen Sonnenbrand. Da wollen die Menschen nicht nachstehen. Wo immer ein grüner Fleck dem brüllenden Stadtklima standhält, richtet die Ferienrestmenge der städtischen Eingeborenen ihre Liegematten auf die Sonneneinstrahlung aus und läßt sich nieder. Wie sonst sollte man die Freizeit verbringen, da die Ozonkonzentration in der Luft anstrengende Tätigkeiten verbietet?
Selbst in unserem Hause, der taz, vergilbt der oft und gern verbreitete Hinweis auf gesundheitsabträgliche UV-Strahlung unverstanden auf dem Zeitungspapier. Die durchweg blonde Geschäftsführung müht sich, die Zahl ihrer Sommersprossen zu vermehren. Die Inserate-Abteilung streckt die nackten Beine aus dem Fenster, selbst der eher körperfeindliche Polizeireporter erfüllt sich einen Jugendtraum und leitet an einem einsatzfreien Nachmittag die Metamorphose vom Bleichgesicht zur Rothaut ein.
Die Beute aus den heißen Tagen ist also der dunkle Teint. Aber Hamburg ist nicht München. Die Hanseaten halten ihre primären Geschlechtsmerkmale auch unter strahlendem Himmel überwiegend bedeckt, und die sozialen Schichten sonnen sich getrennt. Diese Erkenntnisse ergaben sich bei Ortsterminen an einigen ausgewählten Grillstationen.
Im Stadtpark hält vornehmlich die arbeitende Klasse an Sonn- und Feiertagen das Gras nieder. Auf der großen Wiese zeigen kräftige Männer ihre Tätowierungen her, Kinder plärren im Wettstreit mit Gettoblastern, junge Frauen rollen keß ihre Stretchbekleidung auf. Noch nicht ganz bewegungsunfähige Jugendliche kicken Bälle in die bratende Menge oder lassen Wurfscheiben über den ausgestreckten Leibern kreisen. Im Schatten der Erlen aber hocken clanweise unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger beim Picknick und schütteln den Kopf über die Unvernunft, die sich vor ihnen auftut.
Das Alstervorland ist vornehmer. Ältere Damen haben Besitz von den schweren weißen Holzsesseln ergriffen und wenden ihre Dekolletés der Sonne zu. Studentinnen sitzen auf dem Rasen und halten Bücher in den Händen, in die sie kein Auge werfen, weil sonst Schatten auf ihre Gesichter fiele. Lärm kommt nur auf, wenn sich die Jeunesse dorée begrüßt, die hier ihre Syltbräune auffrischt. Den großmäuligen Jungs, die mit den Stollen ihrer Agrarfahrräder (vulgo: Mountainbikes) das Gras durchpflü-
gen, gelten die mißbilligenden Blicke der Damen.
Die Menschen, die sich hier der vornehmen Blässe entledigen, achten auf Distanz, ihre Intimsphäre mißt zehn Meter im Radius. Auch die Kleiderordnung ist streng: Man steigt nicht aus den etwas formlosen Beinkleidern, die beschönigend Bermudashorts genannt werden.
Gedrängter, freizügiger, aber nicht weniger rigide geht es im ehemaligen Friedhof Norderreihe in St.Pauli zu, besser bekannt als Wohlerspark. Die umfriedete Grünanlage bietet wenig Rasenfläche, Bäume verknappen den Platz an der Sonne zusätzlich. Den teilen sich vor allem geringbeschäftigte, asketische junge Leute aus dem Viertel. Ihre dunkle Hautfarbe beweist, daß sie hier schon viele Nachmittage abgelegen haben. Wer nicht Dauergast ist, stößt auf angenehm kühle Ablehnung.
Zu den Dauergästen gehört ein junger Mann, der die gespeicherte Solarenergie regelmäßig in kinetische Energie umsetzt: An späten Nachmittagen zieht er sich ein asiatisches Gewand über den nackten Körper und zelebriert mit einem Säbel in der Hand und unter beängstigendem Stöhnen eine Kampfsportart. Sehr unterhaltsam. Noch unterhaltsamer: der nackte Flötist, der täglich zu wechselnden Zeiten über einen Notenständer gebeugt seine Virtuosität beweist.
Die Vermehrung der völlig Nackten hat in dieser Saison eine Gruppe vertrieben, die noch vor Jahresfrist weniger wegen der Sonne als wegen des Schattens im Wohlerspark zu Hause war: die
1ausländischen Mitbürgerinnen samt Kindern. Angezogen wird eine verwandte Spezies: männliche ausländische Mitbürger. Sie kommen der Aussicht halber und laufen Gefahr, daß Frauen, die sich angestarrt fühlen, sie mit lauter Stimme und ausholenden Gesten wie lästige Insekten zu vertreiben suchen.
Auch an der Elbe, im Sand bei Övelgönne, lassen sich einzelne Stadtbewohner am ganzen Körper bräunen. Schon am Morgen trifft man Gruppen von Frührentnern beiderlei Geschlechts an, die der FKK-Bewegung verpflichtet sind und leichtes Campinggestühl mit sich führen. Meist verbergen sie ihre üppigen Leiber hinter lichtem Buschwerk, gelegentlich kommen sie aber hervor, um ihre Hunde zu Wasser zu lassen oder am Kopulieren zu hindern. Auch hier kennt man sich, alkoholische Getränke machen die Runde und heben die Lautstärke der Unterhaltung. Die zahlreicheren Amateure rücken von den Bräunungsprofis ab.
Wer unangefochten von Gruppenzwängen seine Haut der Sonne aussetzen will, muß sich vor die Stadt begeben. Zum Eichbaumsee am Moorfleeter Deich beispielsweise. Die schmale Landbrücke zwischen See und Dove-Elbe ist ein diskretes Revier. Der Uferbewuchs und Büsche bilden Séparées, vereinzelt auftretende (inländische) Voyeure haben es schwer. Das Publikum ist kleinbürgerlich, also Exzessen abhold. Zur Grundausrüstung gehören Thermoskanne und Tupperdose. Türkische Großfamilien halten sich fern, sie scharen sich um die Feuerstellen am östli-
1chen Ende des Sees.
Auch etwas weiter nördlich findet man Beschaulichkeit. Dort, zwischen der trägen Bille und der wütenden Bergedorfer Straße, wo die Boberger Dünen Meer verheißen, aber nur einen Tümpel einlösen, dösen Familienväter in der Hitze, Mütter wachen über Kinderhorden, die den See aufwühlen. Mümmelmannsberg ist ins Landschaftsschutzgebiet umgezogen.
Hinter Bäumen aber, auf einer Weide, treffen wir endlich auf Körperkultur, die diesen Namen verdient. Hier hat sich eine kleine Schwulenkolonie etabliert, die auch völlig nackt auf Ästhetik bedacht ist. Weder abgehangener Bauchspeck noch wuchtige Muskelpakete
1beleidigen das Auge. Selbst Herren mittleren Alters geben sich der Sonne in unverkrampfter Anmut hin. Hingucken ist erlaubt, und auch Frauen werden geduldet, solange sie in der Minderheit bleiben.
Während die körperlich und geistig träge Population unter Sonneneinwirkung noch einfältiger wird, entzieht sich eine kleine elitäre Gruppe der Stadtbewohner dem Bräunungsritual. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil es sich heuer selbst Knud und Hermine leisten können, als Bratwürstchen herumzulaufen. Diese Lemuren kommen nur nachts ins Freie. Dann leuchten sie und spotten des kackfarbenen Pöbels. Sie sind die Avantgarde. Michael Berger
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